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Polen und mehr

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Briefing

Vorurteile gegenüber Polen gehören längst der Vergangenheit an. Und auch die Polenwitze finden heute kein Gehör mehr. Zumal die eigene Erfahrung zählt und nicht Aufgebackenes aus zweiter oder dritter Hand. Nur zu gut sind die schönen Erlebnisse unseres Segeltörns vor einigen Jahren ins Stettiner Haff noch in Erinnerung.

Damals, einige Jahre nach den großen Gewerkschaftskämpfen und dem Schengener Abkommen, segelten wir noch in ein Land der Gegensätze und Ungewissheit. Doch die Grenzzäune waren auch da schon flacher, die Einreise unkompliziert geworden und die Demokratie hatte spürbar ihren Einzug gehalten. Bereits im ersten polnischen Hafen, in Swinemünde, spülte uns eine Welle von ehrlicher Gastfreundschaft und Sympathie entgegen. Vom ersten Tag an fühlten wir uns willkommen und sicher. In allen Häfen entlang der Oder, bis nach Stettin, bekamen wir so einen ersten guten Eindruck von einem, für uns fremden Land.

Nun sind wir neugierig geworden auf die geschichtsträchtige Region zwischen Swinemünde und Danzig. Das Pommerland. Und auf die vielen kleinen Häfen in Mecklenburg-Vorpommern, an denen wir in der Vergangenheit aus Zeitmangel vorbei gesegelt sind. Auch dafür ist inzwischen gesorgt: Vom Luxusartikel „Zeit“ haben wir reichlich eingepackt. Entsprechende Lektüre über Land und Leute erzeugt schon frühzeitig Vorfreude.

Doch eine gesunde Skepsis kommt als Beimischung hinzu. Denn die 200 Seemeilen lange Küste bis Danzig ist wohl landschaftlich wunderschön, aber auch ungeschützt, dem Wind und Wetter ausgesetzt. Alle Häfen liegen in Flussmündungen, dort muss also mit Strom gerechnet werden. Bei starkem auflandigen Wind kann die Hafenzufahrt durch Grundseen gar unpassierbar werden. Und was ich gar nicht mag: im Trüben fischen. Soll heißen: plötzlich aufkommender Nebel. Darauf werden wir uns in diesem Gebiet wohl auch einstellen müssen. Zu guter Letzt ist die Küste noch mit größeren, aktiven militärischen Sperrgebieten gespickt. Weitere Überraschungen nicht erwünscht!


Leinen los

Die Startbedingungen am 25. Mai sind nicht die schlechtesten: Ein paar Wolken am Flensburger Himmel, drei Windstärken aus Nordost und drei hochmotivierte Jungs im besten Alter. Carsten kennt die CHINTA, unsere Bavaria 33, bereits ganz gut von einem Schweden-Törn, hat aber am wenigsten Zeit dabei. Nach etwa einer Woche wird er schon wieder abmustern. Mal schauen, wie weit wir kommen. Rolf freut sich total auf zwei erlebnisreiche Wochen auf dem Wasser, da er schon eine halbe Ewigkeit keine schwankenden Planken mehr unter den Füßen hatte. Im Übrigen zeigen seine familiären Wurzeln nach Pommern. Mal schauen, wie er in den polnischen Häfen begrüßt wird. Und der Skipper? Ich freue mich auf eine schöne Zeit mit den Jungs und auf einen noch schöneren Sommer mit meinen Mädels und natürlich meiner CHINTA sowie auf viele neue Eindrücke in einem spannenden Land.

schleimuende giftbude wegweiserMit der CHINTA führe ich nunmehr seit zwölf Jahren eine gute Beziehung. Meist verstehen wir uns gut. Für ihr Alter hat sie sich ganz ordentlich gehalten. Erst vor kurzem habe ich ihr ein neues Segelkleid spendiert. Die Strecke bis Swinemünde kennt sie bereits und bis zum Kleinen Belt macht sie heute mal wieder fast alles von selbst. So oft, wie sie schon da war. Die Giftbude in Schleimünde zieht sie magisch an – aber auch uns. Unser erster gemeinsamer Abend – es gibt viel zu erzählen.

Ein deftiges Herrenfrühstück gibt uns Kraft und Energie für einen langen Segeltag. Den Rest besorgt der Wind – und unsere CHINTA. In Gedser angekommen, steht „Plaaten in de Pann“ auf dem Speiseplan. Seeluft macht hungrig! Am Abend des nächsten Tages stehen weitere 70 Meilen im Logbuch. Die Fahrt über die stark frequentierte Kadetrinne mit Kurs auf die Ansteuerungstonne vor Hiddensee, verläuft nicht ohne Probleme. Etwa eine Stunde nach dem Ablegen macht sich hartnäckiger Seenebel breit und sorgt für stark eingeschränkte Sichtverhältnisse. Nur mit Hilfe des Automatischen Identifications Systems (AIS) erkennen wir die Schiffsbewegungen auf der viel befahrenen Wasserstraße auf dem Display des Plotters. Es ist sehr anstrengend, sind ständig auf Standby. Ein Traditionssegler begegnet uns auf unserem Kurs. Und so plötzlich, wie er vor uns aufgetaucht ist, verschwindet er wieder achteraus im Nebelschleier. Auf Kanal 16 ist heute mehr los, als an anderen Tagen. Erst drei Meilen vor Hiddensee weicht die graue Brühe und die Konturen der Insel werden freigesetzt. Die Anspannung fällt von uns. Unter blauem Himmel ziehen wir nun zügig mit passendem Wind durchs enge Fahrwasser, an Barhöft vorbei, bis nach Stralsund. Zu dieser Jahreszeit bieten die Häfen noch ausreichend Liegeplätze. So macht Ankommen Spaß und die Anstrengungen des Tages sind schnell verflogen. Meine Bettlektüre des Flensburger Krimiautoren H. D. Neumann „Nebel über der Küste“ geht mir an diesem Abend ganz besonders unter die Haut.

Trotz der vorherrschenden Ostwindlage können wir nach Passieren der Rügen-Brücke wieder die Segel hissen. Hart am Wind erreichen wir durch das gut betonnte Fahrwasser den aufgewühlten Greifswalder Bodden. Bei stark zunehmenden Böen streichen wir schließlich die Segel und motoren die letzten drei Meilen zum geschützten Hafen von Tiessow. Ein gut gelaunter, gesprächiger Hafenmeister reicht uns beim Einchecken ein Flens. „Ist im Preis mit drin – hol ich mir alles wieder“, meint er mit einem Augenzwinkern. Da denn plop und „Prost“.


Auf nach Pommern

Am fünften Segeltag nehmen wir Kurs auf Polen. Der Bodden hat sich etwas beruhigt, spuckt uns an einer engen Passage schließlich in die freie Ostsee aus. Vorbei am Greifswalder Oie und den ersten beiden militärischen Sperrgebieten können wir Dziwnow anlegen. Mit nunmehr 300 Seemeilen im Kielwasser betreten wir in einem modernen Hafen polnischen Boden und lernen zur Begrüßung die ersten Vokabeln: „Dzien dobry“. Und wer keine Zlotys hat, zahlt mit Euros bei einem Kurs von 1 : 4.Ein großes Schild mit dem Europaemblem verweist auf jüngste Bauaktivitäten und den gönnerhaften „Spender“ aus Brüssel. Alles vom Feinsten, auch mit Niro wurde nicht gespart. Eine großzügige Halle für die maritime Sportabteilung des Ortes befindet sich noch im Bau. Hier wird also geklotzt und nicht gekleckert – wow!

Über die Dziwna gelangt man ins Stettiner Haff. Diese Route wird gern von Berliner Motorbootfahrern genutzt. Segelboote mit maximal 12 Meter Mastlänge passen gerade noch unter die Brücke bei Wollin. Doch unsere Route führt uns weiter ostwärts. Bis Danzig sind es noch etwa 200 Meilen. An Steuerbord immer das gleiche Bild, bis zum Ende der Halbinsel Hel: Sauberes, grünblaues Ostseewasser – feinster Sandstrand – Dünen – Bäume – Grünes Hinterland – Himmel. Sollte dieses Bild mal unterbrochen sein, ist eine Flussmündung in Sicht. Kleine Hafenstädte laden dort zum Verweilen ein. Wie auf einer Perlenschnur aufgezogen, sind sie gut auf einem normalen Tagestörn erreichbar. An Backbord nur die Weite der Ostsee, bis zum Horizont. Und wehe dem, wenn hier ein steifer Westwind bläst. Ab fünf Windstärken sollten einige Häfen wegen der gefürchteten Grundseen dann besser nicht angelaufen werden.wikinger schiff

Bei moderatem Wind erreichen wir nach 33 Meilen und ohne Komplikationen den über die Grenzen hinaus altehrwürdigen Kurort Kolberg. Da fallen mir die Worte des Dichters Wolfgang Borchert ein. Sie passen zu Pommern, wie der Wind zum Meer:

Du bist vom Wind erlöste Ackerkrume,

du bist ein Kind von Fisch und Blume,

du bist von Stern geboren in einer großen Nacht,

Gott hat sein Herz verloren und dich daraus gemacht.“

Trotz der vielen Sehenswürdigkeiten begnügen wir uns zunächst mit einer kurzen Stippvisite. Große Parks mit alten Baumbeständen und mondänen Altbauten stehen im Kontrast zu neuzeitlichen Hotelanlagen und modernen Straßenzügen. Der Strand ist ein Traum. Die Sonne scheint gratis. Nach sechs Segeltagen belohnen wir uns mit einem freien Tag und einem leckeren Essen in einem feinen Restaurant. Beim Streifzug durch die 50-Tausend-Seelen-Stadt nehmen wir die hoch hinauf ragende Basilika aus dem 14. Jahrhundert und das Militärmuseum näher in Augenschein. Für den Rückweg ist mehr Zeit für Sightseeing eingeplant. Am nächsten Morgen um acht werfen wir in der modernen Marina-Solna die Leinen los. Für einen klaren Kopf sorgt ein starker Kaffee vorm Ablegen. Zum Frühstücken bleibt unterwegs noch reichlich Zeit.

45 Seemeilen weiter östlich und sieben Stunden später melden wir uns über Kanal 12 bei der Bridge Control von Darlowo. Die Rollbrücke vor der Hafeneinfahrt öffnet zu jeder vollen Stunde. 20 Minuten kreisen wir im Vorbecken und beobachten das emsige Treiben der Touris. Und die wiederum beäugen uns, die Neuankömmlinge, wie Außerirdische. Hinter den gewerblichen Ausflugs- und Fischerbooten und einem auf alt getrimmten Piratenschiff reihen wir uns ein und machen wenige Meter flussaufwärts in der frisch renovierten Marina fest. Auch hier neue Schwimmstege mit Strom- und Wasserversorgung und einer Sanitäreinrichtung vom Feinsten. Ein großer TV-Monitor steht für Live-Übertragungen bei der bevorstehenden Fußball-WM bereit. Doch wir kapern zunächst eines der Fischgeschäfte, die wir bei der Ankunft in Hafennähe gesichtet haben. Und somit steht heute reichlich frische Räucherware auf dem Speisezettel. Für wenig Geld beste Qualität! Mit dem einen und anderen Verteiler wird der hohe Fettgehalt kompensiert. Wat mutt, dat mutt! Und sogar ein Verdauungsgang ins zwei km entfernte Dorfzentrum ist noch drin.

Am nächsten Tag wird‘s spannend, denn zwischen Darlowo und Ustka erstreckt sich das größte militärische Schießgebiet an der polnischen Küste. Zwar informiert das polnische Militär nicht mehr Wochen in voraus über geplante Sperrzeiten, dennoch hilft hier das Internet. Unter der Adresse www.bhmw.mw.mil.pl werden laufend (leider sehr kurzfristig) navigatorische Mitteilungen und Warnungen in polnischer und englischer Sprache veröffentlicht. Sich daran zu halten wird dringend empfohlen! Wir haben Glück und können auf direktem Weg, also der Küste entlang, unser nächstes Tagesziel ansteuern.

Doch ganz so einfach wird es dann auch wieder nicht. Der leichte Wind aus Nordost bläst uns Seenebel um die Nase, eine Stunde nach dem Ablegen. Im Hafen haben wir noch unter blauem Himmel gefrühstückt. Doch nun ganz dicke Suppe um uns herum. Die Positionslampen sind an, kann aber eh keiner sehen. Das AIS ist aktiviert, doch die polnischen Fischer bleiben gern unerkannt. Wollen wohl ihre geheimen Fanggründe nicht preisgeben. Nebelhorn und Signalhupe liegen griffbereit, um uns bemerkbar zu machen. Doch unter laufender Maschine ist auch dies kein großes Hilfsmittel. Als wir ein monotones Motorengeräusch an Steuerbord ausmachen, entfernen wir uns weiter von der Küste. Das Geräusch verstummt, auf dem Plotter wurde eh nichts angezeigt und auch die Funke blieb ruhig. War wohl ein Fischtrawler bei der Arbeit. Nun hoffen und beten wir, keines der vielen ausgelegten Fischernetze zu treffen. Denn die Markierungen, also die Fischerfahnen am Ende der langen Reusen, sind unter diesen Bedingungen beim besten Willen nicht zu erkennen.

Nach einer unendlich langen Stunde ist der Spuk vorbei. Schon bald setzt sich das Blau am Himmel wieder durch und um uns herum – nichts. Keine Boote, keine Fischerfahnen. Nur die Küste ist weiter entfernt als zuvor. Nach weiteren zwei Stunden melden wir uns per UKW-Funk beim Kapitanat Ustka an. Die große Fußgängerbrücke schwenkt gemächlich auf, um uns, vorbei an der bronzenen Meerjungfrau, die Zufahrt zum Hafen zu gewähren.

 


 Zurück in die Zukunft

Da wir inzwischen auf Nirogeländer und beheizte Klobrillen eingestellt sind, werden wir diesmal enttäuscht. Im maroden Hafenbecken finden wir zwischen Fischer- und Freizeitbooten noch eine kleine Lücke für unsere CHINTA. Zeitgleich kommt der mit gelber Sicherheitsweste ausgestattete Hafenmeister auf seinem Roller angesaust und hält seinen Daumen wohlwollend nach oben. Mit breitem Grinsen gibt er mir in fließendem polnisch zu verstehen, dass wir dort gern ein paar Tage liegen können und zeigt immerzu auf einen Container, der sich später als das Sanitärgebäude herausstellt. Dann drückt er mir noch ein buntes Informationsheft für Touristen in die Hand, in deutscher Sprache wohlgemerkt. Den Code für WLAN und WC hat er vorsorglich auf den Umschlag gekritzelt. Mit 40 Zloty Hafengeld in der Tasche knattert er winkend davon.

Die meisten Polen wirken auf uns Deutsche zunächst reserviert. Wenn man sie anspricht, ändert es sich durchaus. Die meisten jüngeren sprechen englisch, die älteren freuen sich auch schon mal ihre Deutschkenntnisse aufzufrischen.

szlak latarnIm Gegensatz zum weniger einladenden Hafen freue ich mich über die Frische, die der Ort ausstrahlt. Mit gemütlichen Lokalitäten, guten Einkaufsmöglichkeiten und einer sauberen Strandpromenade sind Touristen hier willkommen. An der hohen Kaimauer des Flusses Slupia sorgen diverse Segelboote, die meisten deutscher Herkunft, für maritimes Flair.

Am Abend ist uns nach schönem, kühlen polnischen Bier zu Mute. Musikklänge aus dem angrenzenden Waldgebiet ziehen uns magisch an. Wir staunen nicht schlecht, was uns dort erwartet: Die Feldküche des „Blücher Bunkers“ hat heute einen „Bunten Abend“ organisiert, mit Fleisch vom Grill, Bier vom Fass, Livemusik und Dans op de Deel. Gut gelaunte und zum Teil ganz schön angeschäkerte Polen, offensichtlich Edelreservisten der Infanterie, geben uns keine Chance zu entkommen. Schon bald finden wir uns in einer polnisch-deutschen Polonäse wieder. So friedlich verlief die Völkerverständigung nicht immer. Der zu später Stunde aufkommende Nebel hatte wohl zweierlei Gründe. Doch mit guter Navigation erreichen wir zielsicher unser Nachtlager. Hatten ja tagsüber schon geübt...

Neben der einmalig schönen Natur ist die Ostseeküste Polens von zwei Dingen geprägt: Fischfang und Militär. Die gewerblichen Fischer fahren mit ihren Booten weit hinaus in die Ostsee und nehmen, meist gut beladen, wieder Kurs auf ihren Heimathafen. Der Küstenbereich ist garniert mit Fischernetzen unterschiedlicher Art und Länge. So hat der Fisch kaum Chancen zu entkommen. Dies trifft für die Segler, wenn sie denn nicht auf der Hut sind, auch zu. An den Flussmündungen stehen außerdem die Angler mit ihren langen Ruten dicht an dicht. Mit störrischer Ruhe und der Hoffnung auf den großen Fang ein weit verbreiteter Zeitvertreib in der polnischen Männerwelt.

Der zum Museum ausgebaute Blücher-Bunker ist nur ein Relikt der bewegten Geschichte Pommerns. Ein weiteres trauriges Kapitel wurde hier, unmittelbar vor der Küste, geschrieben: Kurz vor Kriegsende sank 1945 die Gustloff mit drei Torpedos im Rumpf und über 10.000 Flüchtlingen an Bord. Es gab nur wenig Überlebende.

Hier, in und um Ustka, ehemals Stolpermünde, besteht auch heute noch ein großer Stützpunkt des polnischen Militärs. Seit dem Beitritt zur Nato jedoch von ganz anderer Bedeutung. Denn bis zur russischen Enklave um Kaliningrad, das ehemalige Ostpreußen, ist es nicht weit. Insofern ist die unmittelbar angrenzende Halbinsel Hel heute von noch größerer strategischer Bedeutung. Entlang der gesamten polnischen Küste entdecken wir unzählige hohe Sendemasten und Funkanlagen. In den See- und Landkarten sind die vielen militärischen Sperrgebiete nicht zu übersehen.

Bei unserer nächsten Tagesetappe bekommen wir es mit einem Sperrgebiet ganz anderer Art zu tun. Der vorgelagerte Küstenstreifen des „Slowinski Park Narodowy“ ist in einem Ausmaß von 2 x 20 sm dauerhaft für jeglichen Schiffsverkehr gesperrt. Zum Schutze der Natur. Auf die dahinter liegende sogenannte „Polnische Sahara“ freue ich mich ganz besonders.

Der Nebel der Nacht hat sich am nächsten Morgen verzogen. Nur nasse Spurenelemente an Deck lassen noch Rückschlüsse zu, und der Kopf ist wieder klar. Bei fast glatter See sorgt zunächst der Motor für weitere Meilen auf der Logge. Ein deftiges Frühstück und ein extra starker Kaffee, mit salziger Seeluft gemischt, sowie die Erinnerungen an den letzten Abend sorgen für gute Laune an Bord.

Doch die schwindet dahin, als bei zunehmendem Wind die Segel zum Einsatz kommen. Das Groß ist schnell gesetzt, doch die Rollfock „klemmt“.im Mast Eigentlich arbeitet die Furlex stets mängelfrei. Doch heute versagt sie, auch nach mehrfachen Versuchen. Unten, an der Rolle sieht alles gut aus. Ich ahne Böses. Ist die Ursache etwa oben am Mast versteckt? Wurde am Tag zuvor womöglich die Spi-Schot mit eingerollt oder.... Bin ratlos – bis mir auf halber Höhe eine unscheinbare kleine Auswölbung an der Fock ins Auge springt.
Na klar! Schon Tage zuvor hatte sich ein Pad teilweise gelöst, das das Segel in Höhe der Saling schützen soll. Und nun hat es sich so verklebt, dass es nicht mehr vor- und zurückgeht. Carsten freut sich schon auf seinen Einsatz. Per Bootsmannsstuhl und Spischot erreicht er seinen Einsatzort in luftiger Höhe. Die notwendige OP ist schnell vollzogen und so freuen wir uns schon bald über das ausgerollte Vorsegel. Zumal der Wind auf West gedreht hat und wir erstmals mit raumen Wind weiter ostwärts ziehen.

 

 

 

 

 

 


 Die Wüste lebt

Schon bald erkennen wir aus der geforderten 2-sm-Distanz die ersten riesigen Sandburgen. Ein Vorgeschmack auf eine gewaltige Dünenlandschaft. 20 Meilen das gleiche Bild. Dann, die ersten Häuser von Leba. Auf Höhe der Hafeneinfahrt ist das Sperrgebiet dann aufgehoben. Herrlich weißer Strand und ein gemütlicher Hafen mit allem Komfort laden zum Verweilen ein. Nach Anlegebier und kleiner Stärkung satteln wir unsere beiden Bordräder. Ein drittes holen wir beim Radverleih, mit Touri-Karte. Und schon geht’s los: Der Berg ruft! Die letzten Meter der Anfahrt müssen zu Fuß bewältigt werden, der Umwelt zu Liebe. Und der Aufstieg im feinen, weichen Sand sowieso. Sonne und Wind (nun wieder von vorn) treiben mir Schweiß auf die Stirn.

Mitten in dieser Strapaze klingelt mein Smartphone: Die Heimat ruft. Meine Frau berichtet ganz aufgekratzt – und zwar live – vom alles entscheidenden Meisterschaftsspiel unserer SG. Und ob ich es gerade auch im Fernsehen oder Radio mitverfolge... „Nee, hab gerade ein ganz anderes Ziel vor Augen. Vielleicht schaffe ich es noch bis ganz oben...“ Sie stutzt: „Als ob das nun so wichtig ist...“ „Jaaa, für mich schon – aber was ist nun mit der SG?“ brüll ich gegen den Wind. „Es sind nur noch wenige Minuten zu spielen, es ist ein Krimi, die SG führt mit zwei Toren – und schon wieder eine Auszeit...“. „Die könnt ich jetzt auch gut brauchen“, stöhne ich nach Luft schnappend zurück. Ich bleib in der Leitung, verstehe aber kaum noch was. Denn mit zunehmender Höhe bläst der Wind und auch der Sand einem mächtig um die Ohren. „Nur noch wenige Sekunden, aber wir führen nur noch mit einem Tor...“ glaube ich verstanden zu haben. Mann, ist das aufregend. „Nur noch wenige Meter, dann hab ich‘s geschafft“. „Schrei doch nicht so!“, kommt dann zurück. Und dann nur noch Geschreie, aber diesmal aus Flensburg. „Wir haben‘s geschafft, wir haben es tatsächlich geschafft – die SG ist Deutscher Meister“. Welch ein Gegröle – und Wind – und überhaupt... „Bist du noch da?“ „Jaaa!“ Und – bist du auch oben angekommen?“ „Jaaa, bin ich!“ „Toll – dann bist du auch Deutscher Meister!“ Und wer feiert nun mit mir? Ach, da sind ja noch Rolf und Carsten. Einer vor mir, einer noch auf der Strecke...wueste

Dann genießen wir erstmal kollektiv den tollen Ausblick vom höchsten Punkt der gigantischen Dünenlandschaft. Im Norden die Weite der Ostsee, im Westen nur Wüste und nach Süden hin der Lebsko-See. Der schmale bewaldete Landstreifen dazwischen ist durch das Wandern der Dünen arg gebeutelt. Immer weiter treibt der Wind den feinen Sand Richtung See und vernichtet so Jahr für Jahr hunderte Bäume. Von einigen ragen nur noch sterbliche Überreste aus dem Sand. Welch ein Naturschauspiel!

Welch herrlicher Tag – welch schöne Zeit! Doch Carsten muss übermorgen wieder in Flensburg sein. Mit Bootsnachbarn diskutiert er über Bahnverbindungen und Transfermöglichkeiten zum Flugplatz. Von Leba ist es eher umständlich und zeitaufwändig. Vom nächsten Hafen gibt’s gute Direktanbindungen zum Flieger, den können wir morgen raumschots gut erreichen. Und so machen wir es dann auch.

 

 


 Rückenwind

Zunächst wieder Seenebel. Doch zunehmender Westwind vertreibt ihn. Es bleibt aber diesig und ungemütlich. Die Böen blasen uns genau von achtern ins Cockpit und was viel wichtiger ist, in die Segel. Der Wind wird stärker, die Wellen höher. Wir bergen das Großsegel. Die Fock verrichtet gute Dienste, fahren ständig um die acht Knoten. Das Display zeigt in Böen acht Beaufort an, im Surf machen wir bis zu 11,5 Knoten Fahrt. Bei so viel Speed jenseits der Rumpfgeschwindigkeit verirrt sich schon mal der eine oder andere Schmetterling bei mir im Bauch. Bin froh, dass wir das Groß rechtzeitig niedergeholt haben. Und dann traue ich meinen Augen nicht: Eine etwas kleinere, leichte Hanse 30 taucht aus dem Dunst auf. Ist nur mit dem Groß, also ohne Fock, unterwegs. Die SURSULAPITSCHI (so heißen Segelboote!) treffen wir später noch häufiger in den Häfen wieder. So erfahren wir auch vom stolzen Skipper seinen Spitzenwert im Surf: Beachtliche 13 Knoten! Doch um die Halsen habe ich ihn nicht beneidet...

Bei diesen Wetterbedingungen können die meisten Häfen an der polnischen Küste, wie anfangs erwähnt, nicht mehr angelaufen werden. Als wir hinter dem Cup beim Leuchtfeuer Jastrzebia Gora um 30 Grad abfallen, haben wir für die verbleibenden vier Meilen, im Schutze der Steilküste, entspannte Segelbedingungen. Außerdem ist Wladyslawowo, der größte Fischereihafen Polens, bei fast jedem Wetter passierbar. Eine letzte kleine Hürde habe ich bereits im Vorfeld ausgeräumt. Denn die Aussprache polnischer Begriffe und Namen erschließt sich einem nicht immer so ohne weiteres. Und bevor mir versehentlich Wladiwostok oder die frühere Bezeichnung Großendorf über den Äther geht und zu Missverständnissen führt, habe ich mir vorsorglich die Lautschrift notiert: Wua-dis-ua-wowo ...da komm‘ mal einer drauf. Und prompt wurde ich über Kanal 10 höflich gebeten einzulaufen.

Dass das große Hafenbecken für Sportboote rein gar nichts bietet, ist uns nach den Anstrengungen des Tages ziemlich wurscht. Das Klo schließt um 20 Uhr und der nächste Bahnhof ist 400 Meter entfernt. Das zählt! Beim Sigthseeing durch den unattraktiven Ort landen wir unter anderem im Rathaus, das gleichzeitig ein weit sichtbares Leuchtfeuer ausstrahlt. Doch was sich hinter den behördlichen Mauern verbirgt, da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich... Zunächst gähnende Leere, keine Menschenseele – wie in deutschen Amtsstuben – bis der bis dahin unsichtbare Pförtner auf uns aufmerksam wird. Wir fragen ihn nach der Touristinformation. Da wir seinen polnischen Ausführungen nicht ganz folgen können, nimmt er uns kurzer Hand mit in seinen persönlichen „Hochsicherheitstrakt“. Wo normalerweise weniger attraktive Spindposter oder Fotos der Liebsten von der Wand lächeln, sind zig Monitore aneinander gereiht. Sämtliche Straßenzüge und Kreuzungen dieses mystischen Städtchens hat der Geheimnisträger von seinem abgewetzten Bürostuhl im Blickfeld. Und so führt er uns per Fingersprache über diverse Bildschirme bis zum Eingang der örtlichen Touristinformation. Und das ganze gleich nochmal, damit wir kein zweites Mal kommen müssen.

Am Abend dann, ein halbwegs feudales Abschiedsessen für Carsten. Mit einem heißen Kaffee im Magen macht er sich frühmorgens auf den Weg. Im Handgepäck rund 500 teils aufregende Seemeilen und ein paar „hübsche“ Erlebnisse. Die Rückreise mit der Wizz Air via Billund verlief unspektakulär, wie wir abends im Hafen von Hel erfahren. Auch Rolf und ich konnten im Gegensatz zum Vortag den sonnendurchfluteten Segeltag mit moderatem Wind aus NO genießen. Wohl auch, weil uns das Militär durch weitere Sperrgebiete freie Fahrt gewährte.

Die kleine Hafenstadt an der Südspitze der gleichnamigen 30 km langgezogenen, schmalen Halbinsel ist im Gegensatz zur „Fisch-Hauptstadt“ ein Touristenmagnet. Da wir bis zu unserem Endziel nur noch die Danziger Bucht überqueren müssen, genehmigen wir uns einen weiteren Hafentag. So folgen wir zunächst ganz relaxt dem emsigen Treiben, nachdem die ersten Busse und Ausflugsboote diesen geschichtsträchtigen Ort ansteuern.

Als durch den Trubel dann schließlich Jahrmarktsatmosphäre aufkommt, nehmen wir das Rad und treten in die Pedale. Vorbei an Souvenirläden mit farbenprächtigen Teddybären und anderen teils undefinierbaren kitschigen Stofftieren ergreifen wir die Flucht. Stückweit führt der Radweg abseits der vielbefahrenen Hauptstraße in das zwölf km entfernte beschauliche Örtchen Jastarnia. Der Wald ist gespickt mit Hinweisschildern: „UWAGA“, darunter das Symbol eines Schützen oder Panzers. Also, auch hier: Das Militär ist allerorts präsent. In Jurata ist dagegen reger Kurbetrieb der silbernen Generation spürbar. Viele gut erhaltene Bauten und schmucke Einfamilienhäuser zäumen den Weg bis in den Ortskern von Jastarnia hinein. Bis zum Strand sind es nur wenige Meter, ob zur offenen Ostsee oder jenseits, zur Danziger Bucht. Am idyllischen Hafenbecken gönnen wir uns zwischen Fischern und Hafenarbeitern eine Pause. Auch Sportboote finden hier ein ruhiges Plätzchen.

Wieder zurück auf der CHINTA, haben sich die Tagestouristen längst wieder verzogen. In dem beliebten „Kutter Restauracja“, dem Geheimtipp der Einheimischen, stärken wir uns und genießen die Ruhe am Abend.

 


 Kurs Danzig

Am nächsten Morgen dann noch ein ausgiebiger Spaziergang um die Südspitze der langgestreckten Halbinsel. Als die ersten Tagesgäste einfallen, sehen sie nur noch unser Kielwasser. Auf unserer vorerst letzten Etappe müssen wir die stark frequentierten Schifffahrtsstraßen nach Gdingen und Danzig passieren. Erstaunlich viel Betrieb in der Danziger Bucht erfordert ein wachsames Auge. Bei Kaiserwetter segeln wir bis in die Flussmündung der Martwa Wisla, einem Nebenarm der Weichsel, hinein. Erst kurz vor dem ehrwürdigen, hoch aufragenden Denkmal, der Westerplatte, streichen wir die Segel. Dort, wo am 1.9.1939 der zweite Weltkrieg ausbrach. Beim Passieren des Mahnmals dippen wir die Nationale. Ein Scheißgefühl überkommt mir bei dem Gedanken, welch ein Unheil damals auf die Menschheit zukam.

Auf der einstündigen Flussfahrt bis zur Altstadt-Marina wird uns nicht langweilig. Viele dicke Pötte haben hier festgemacht, für Reparaturen oder zum Löschen der Fracht. Wassertaxen queren unseren Weg, eine gewaltige Kranplattform kommt uns entgegen. Sind auf der Hut, um die richtige Abzweigung in die Motlawa nicht zu verpassen. Kurz vor unserem Ziel noch eine Tankstelle. Wie schön, denn die Diesel-Anzeige nähert sich verdächtig dem roten Bereich. Die neue Fußgängerbrücke öffnet zweimal stündlich, wir huschen noch gerade so mit durch. Und dann sehen wir auch schon das Wahrzeichen von Danzig, das alte Krantor. Gegenüber liegt die Altstadt-Marina. Wir sind da – welch schönes Gefühl! Das Anlegebier haben wir uns nach 550 sm redlich verdient.

Bis zum Crewwechsel haben wir noch zwei Tage. Und die Neugierde ist groß in so einer schönen Stadt, wie Danzig. Die hilfsbereiten Studies der Hafenmeisterei statten uns beim Einchecken mit Stadtplan und weiteren interessanten Informationsbroschüren aus. Nun hält uns nichts mehr vom ersten spontanen Erkundungsgang durch die Altstadt ab. Nur kurz über die Brücke und schon stehen wir auf dem Langmarkt und schlendern weiter in die Langgasse. gdansSchnell springt der Funke über. Auf Anhieb irgendwie sympathisch und beeindruckend – die anmutenden Fassaden, die schönen Torbögen. Studenten spielen dort klassische Musik und freuen sich über ein kleines Zubrot. Gemütliche Lokalitäten reihen sich aneinander, alle gut besucht. Wir bummeln mit dem Strom der vielen Menschen und atmen genüsslich die Atmosphäre ein. Am Ende der Gasse dann doch ein neugieriger Blick in den Stadtplan: Vor uns das exorbitante Goldene Tor, dahinter Folterkammer und Bernsteinmuseum und gleich im Anschluss das Hohe Tor.

Hinter der Unterführung zeichnet sich ein gigantischer Glaspalast ab. Die „Galeria Baltycka“ ist ein Shoppingcenter im modernen Baustil. Auf dem Platz davor eine große Menschenansammlung und – ansprechende Live-Musik einer 5-köpfigen Band. Welch ein Empfang! Erst als die Musik verstummt ziehen wir weiter. Parallel zur Langgasse stehen wir schon bald staunend vor der beeindruckenden Marienkirche und der Königlichen Kapelle. Ganz zufällig landen wir dann in einer gemütlichen Kneipengasse. Wie das Danziger Bier wohl schmeckt? Das zünftige Brauhaus gibt Antwort. Angeblich halten Tyskie, Warka, Zywiec & Co sogar das deutsche Reinheitsgebot ein. Zurück am Wasser, entlang der Uferstraße, vis a vis zur Marina, wiederum verblüffende Eindrücke. Das abendliche Sonnenlicht erzeugt eine sonderbare Spiegelung im Wasser. Ob dies wohl das berühmte Danziger Goldwasser ist? Überwältigt von den Eindrücken des Tages genießen wir den ausklingenden Abend im Cockpit.

Bei der ausgetüftelten Besichtigungstour am nächsten Tag kommen wir uns schon recht vertraut vor. Denn so manche Sehenswürdigkeit haben wir ja schon am Vortag eher zufällig wahrgenommen. Die meisten Highlights sind gut auf Schusters Rappen erreichbar. Das Marinemuseum ist gleich bei uns um die Ecke und natürlich sind wir neugierig, wie es im Krantor aussieht. Sogar der im ursprünglichen Stil wiederaufgebaute Bahnhof und die alte Markthalle sind lohnende Ziele, auch ohne Zugfahrt und Einkauf. Am Nachmittag mache ich mich abseits der Altstadt auf den Weg – ohne festen Plan. Über die Fußgängerbrücke, vorbei am Fischmarkt, erreiche ich schon bald einen kleinen Seitenarm der Motlawa und folge ihm. So lerne ich auch ganz normale und schon mal weniger gepflegte Wohnviertel der Stadt kennen. Bei der Großen Mühle lege ich eine Pause ein und lasse von einer Parkbank die ländlich anmutende grüne Oase auf mich wirken. Schließlich lande ich auf dem Rückweg mal wieder in der Langgasse.marienkirche

Als hätte ich heute nicht schon genug Bewegung gehabt, ist mit vor dem Abendessen ganz spontan nach einer Radtour. Die Westenplatte geht mir nicht aus dem Kopf. Sind auch nur so um die vier km – denke ich. Letztendlich ist es dann doppelt so weit, plus Rückweg... So gibt es recht spät Essen. Doch das gewaltige Mahnmal, so ganz aus der Nähe, hat mich sehr beeindruckt und eine nachhaltige Wirkung bei mir hinterlassen. Habe mich dann noch sehr intensiv mit der bewegten Geschichte Polens befasst und muss feststellen, dass das Land nie so richtig zur Ruhe gekommen ist und irgendwie ständig im Wandel war. Hier ein paar „Meilensteine“:

17.–18. Jahrhundert: Viele Kriege und innere Unruhen

1831 Teilung in preußische und russische Besatzungszonen

1905 Wendepunkt vom Sozialismus zu nationaler Unabhängigkeit

1916 Gründung eines selbständigen polnischen Staates

1919 Polen erreicht seine Souveränität

... Immer wieder neue Grenzverläufe

1.9.1939: Angriff Deutschlands auf Polen löst den 2. Weltkrieg aus

Zwei Wochen später Einmarsch der Roten Armee

1945 Verschiebung des polnisches Staatsgebietes von Ost nach West

... Viele Unruhen und Aufstände in polnischen Städten

1980 Gründung der Gewerkschaft Solidarnosc unter Lech Walesa

1989 Erste freie Wahlen! Demokratischer, marktwirtschaftlicher Wandel

1990-1995: Lech Walesa ist Staatspräsident von Polen

... Diverse Wechsel durch Parlaments- und Präsidentschaftswahlen

1999 Beitritt in die NATO
2004 Beitritt in die EU
2007 Schengener Abkommen; Öffnung von Land- und Seegrenzen

2015 Die PiS-Partei gewinnt Parlamentswahl – und spaltet das Land

... und morgen?

Mit der polnisch-russischen Grenzregion hatte ich mich schon daheim näher befasst. Wäre auch ganz gern mal ans Frische Haff nach Elbag und Frombork oder Braniewo gefahren. Die An- und Abfahrt mit dem Bus erschien mir dann aber doch zu aufwändig. Auch Rolf zog eine Radtour ins benachbarte Seebad Sopot vor. So lernten wir mit Oliwa den westlichen Teil Danzigs, den waldreichen Küstenstreifen sowie den mondänen Vorzeigeort näher kennen. Doch die Rücktour zog und zog sich...

 


 

Crewwechsel

Mit einem kleinen Muskelkater endete schließlich frühmorgens um Vier der Polenaufenthalt für Rolf. Das Taxi brachte ihn zum Flugplatz. Fliegender Wechsel dann in Billund: Rolf stieg dort in das Auto, mit dem Angelika, Christiane crew wechselund Inga gerade angekommen waren und die drei hoben wenig später mit seiner Maschine Richtung Danzig ab. Alles bestens geplant, nur ich hatte mich irgendwie um eine Stunde vertan. Plötzlich winkten mir drei fröhliche Mädels von der Pier zu. Gott sei Dank hatte ich das Gröbste an Bord bereits erledigt und so gab es Sekt zum Frühstück.

In den beiden folgenden Tagen übernahm ich dann – als gestandener Pole – gern die Stadtführung und tat auch so manchen Winkel auf, den ich noch nicht kannte. So waren auch die Spuren von Lech Walensa, Günter Grass und Arthur Schoppenhauer leicht aufzufinden. Lenin hat seinen Namen für den Schiffsbau in Danzig hergegeben – bis 1990. Und das Goldene Haus aus dem 15.Jahrhundert ist heute noch das prachtvollste Bauwerk der Stadt.

Am Ende hatten wir vermutlich alle Tore Danzigs durchschritten, einige sogar mehrmals täglich. Und sonst noch – gab es gar nichts Negatives in dieser schönen Stadt? Ja, doch – wo gibt’s denn schon den verzauberten Ponyhof... Also, in Danzig wird, wie auch in vielen anderen polnischen Städten, fleißig gebaut und renoviert. So auch, mit reichlich Baulärm, in unmittelbarer Hafennähe. Doch es gibt eine gute Alternative, ein weiterer (kleiner) stadtnaher Hafen: Einfach bei der letzten Tankstelle backbord halten. Über die Fußgängerbrücke erreicht man von dort ebenfalls schnell die Altstadt – und hat abends seine Ruhe.

Mit etwas Wehmut verabschieden wir uns schließlich am 10. Juni von dieser imposanten Stadt und den Bootsnachbarn, mit denen wir uns näher gekommen waren. Die meisten ziehen von hier weiter zu den Baltischen Ländern, einige sogar über Königsberg. So auch die pfeilschnelle SURSULAPITSCHI. Unser heutiges Tagesziel heißt jedoch Sopot. Für meine Mädels genau der richtige Ort zum Chillen, Bummeln, Shoppen und bei dem anhaltend tollen Wetter natürlich zum Baden. Auch heute noch ist dieser mondäne Kur- und Badeort mit der längsten Badebrücke in Polen die Nummer 1. Dementsprechend ist der Hafen, draußen am Brückenkopf, mit „50-Fuß-Spielzeugen“ garniert. Da kommen wir uns in jeder Hinsicht klein vor. Auch mit Hut...

Die Eindrücke bleiben. Wir nehmen sie mit, zunächst über die Danziger Bucht nach Hel. brueckeAus Erfahrung klug, nutzen wir die Touri-freien Zeiten für unsere Landgänge. Der kulinarische Teil findet natürlich im „Kutter“ statt. Mit halbem Wind aus Nord erreichen wir am folgenden Tag Wladyslawowo. Erstmals seit langer Zeit überrascht uns ein Regenschauer. Doch das ist nicht der Grund, dass Chrissi schon wieder abmustert. Sie hat in diesem Sommer noch weitere Ziele in Europa und besucht zunächst Freunde in der Schweiz. Die gute Zuganbindung, von hier zum Flieger, kennen wir ja schon...

Inga hat sich auf die „Polnische Sahara“ mindestens so sehr gefreut, wie auf Danzig. Und so übernimmt sie bei schwachem Nordwest bestgelaunt das Ruder und hält Kurs auf Leba. Der schöne Hafen beeindruckt meine Mädels, der unattraktive Ort weniger. Doch das Highlight – in doppelter Hinsicht – liegt ja in der anderen Richtung. Acht km weiter westlich – und ein paar Meter höher. Diesmal wählen wir die sportliche Variante, zu Fuß, dem Strand entlang. In der seichten Ostseebrandung lassen wir unsere Füße umspülen. Welch ein Genuss! Doch die Anstrengung im weichen, ansteigenden Dünensand steht uns ja noch bevor. In der Hitze der Mittagssonne ist dies kein Vergnügen. Langsam arbeiten wir uns Meter für Meter weiter vor. Diesmal ganz ohne Live-Übertragung vom Handball. Denn mein persönlicher Sportreporter ist ja nun bei mir und quält sich durch den heißen Sand. Die Belohnung wartet oben! Und die verdiente Pause dehnen wir dann auch reichlich aus – so schön ist es hier!

Mit einem der Elektro-Mini-Busse fahren wir zurück in den Ort und steuern ohne Umwege den nächsten Eisladen an. Und nun rückt auch Ingas letzter Abend näher. Den verbringen wir ganz zünftig mit Picknickkorb auf einer kleinen Anhöhe am Strand. Bei untergehender Sonne stoßen wir auf die schöne gemeinsame Zeit an. Kurz nach Sonnenaufgang begleite ich Inga dann zu einem Mini-Bus der sie wiederum zu einem Anschlussbus bringt und dann geht’s mit der Bahn weiter zum Flughafen. Etwas umständlich, aber es geht.

 


 

Das bewährte Doppelpack

Rund 180 Seemeilen trennen uns noch von Mecklenburg-Vorpommern. Denn für Peenestrom und Achterwasser haben wir zwei reichlich Zeit eingeplant. Über Ustka und Darlowo steuern wir, schön dem Küstenverlauf folgend, Kolberg an. doppelpackAuch mein „1. Offizier“ ist von den modernen, gut ausgestatteten Marinas sehr angetan. Seenebel, Fischernetze, Militär: Fehlanzeige. Wie schön! Einzig der Wind, das heißt, die Windrichtung bereitet uns zunehmend Sorge. Teilweise ist es schwachwindig, sodass der Motor häufiger zum Einsatz kommt. Dann segeln wir wiederum eine ganze Tagesetappe bei idealem Südost. Fast ohne Welle, bei ablandigem Wind. Doch dann pendelt sich der Wind zunehmend auf West ein. Wäre ja auch zu schön, nun den Ostwind von der Hinfahrt nutzen zu können.

Komisch, die vielen Windräder entlang der Küste bis Kolberg habe ich auf dem Hinweg gar nicht so bewusst wahrgenommen. Also auch hier in Polen: Umweltbewusste Energiegewinnung. Im großzügig ausgebauten Hafenbecken der Marina-Solna sind auch am späten Nachmittag noch ausreichend freie Liegeplätze vorhanden. Sicher sieht es im Juli, nach Ferienbeginn in Polen und Meck-Pomm, ganz anders aus. In dem über die Grenzen bekannten Kurort gönnen wir beide uns ein paar Tage. Wir wundern uns nicht, dass hier, bei den vielen Hotelhochbauten, so viel deutsch gesprochen wird. Die kilometerlangen Parkanlagen, parallel zur Strandpromenade, kompensieren irgendwie die aneinander gereihten Bettenburgen. Und auch die vielen grau melierten Kurlauber verteilen sich ganz gut über die Stadt oder aber sie beschäftigen sich hinter den Hotelmauern mit ihren Heilkräutern. Jedenfalls können wir uns überall unbeschwert per Fahrrad und auch auf Schusters Rappen bewegen. Lassen die Mischung aus Natur und Kultur auf uns wirken.

In der Marina dann ein überraschendes Wiedersehen mit Vereinskameraden. Auch sie wollen nach Danzig. Unser Kurs zeigt nach Westen. Dort, wo der Wind herkommt. Bei nur 3 Windstärken hat sich bereits eine unangenehme, kabbelige Welle aufgebaut. So quälen wir uns über sechs Stunden mehr schlecht als recht zum nächsten Hafen. Noch in der Flussmündung der Dziwna frischt der Wind mächtig auf. SW 5 - 6. Sind froh, als wir in Dzinow festgemacht haben.

Es ist drückend heiß und schwül. Die Wetterprognose lässt nichts Gutes erahnen: Ein kräftiger Sommersturm bahnt sich an. Erstmals kommt die Kuchenbude zum Einsatz. Wir machen es uns gemütlich und haben so Muse zum Lesen. Und – in diesem kleinen Örtchen ist Leben drin, es gefällt uns. Zur einen Seite Strand und Meer, zur anderen der in sich ruhende Fluss, die Dziwna, mit Anbindungsmöglichkeit zum Stettiner Haff.

Die Nacht war erstaunlich ruhig, der nächste Morgen auch. Wir machen uns mit den Rädern auf den Weg ins benachbarte Dzinowek und weiter nach Kamien Pomorski. Doch auf halber Strecke trau ich den Frieden nicht mehr so recht. Der Himmel verändert sich rasch, lässt nichts Gutes erahnen. Und außerdem sind Wettervorhersagen nicht nur für Seefahrer... Wir kehren um! Und noch bevor wir Schutz in Dziwnowek finden, peitschen plötzlich Sturmboen auf uns nieder. Erstaunlicher Weise bleibt der Regen aus. Die Bäume geben der Kraft des Windes bedenklich nach, Zweige fliegen durch die Luft und die Wege sind im Nu mit Kiefern übersät. Ein Wunder, dass wir noch nicht getroffen wurden. Schließlich finden wir beide mit weiteren verängstigten Passanten eng gedrängt Schutz unter einem Mauervorsprung, bis der Spuk vorbei ist.

Am nächsten Tag ein zweiter Versuch, aber mit dem Linienbus. In Kamien Pomorski gibt es dann zu unserem Erstaunen nicht einmal viel zu sehen. Der Cappuccino im neuen Hafen-Cafè ist der Höhepunkt des Tages. Wäre da nicht der Zentrale Busbahnhof – wie im DDR-Format vor 40 Jahren – mit undurchdringlichen Busfahrplänen... Selbst für hilfsbereite Einheimische stellte das Konstrukt ein Rätsel da. Wer – wann – wohin... Eigentlich kann es doch nicht so schlimm sein. Nach längerem Studium und solidarischer Beratung müssten wir fast drei Stunden auf die nächste Rückfahrmöglichkeit warten. Obwohl ständig Busse in unterschiedliche Richtungen abfahren. Durch Zufall werden wir darauf aufmerksam, dass nur 100 Meter weiter eine nicht-staatliche Firma Kleinbusse im Einsatz hat. 15 Minuten später sitzen wir für ein paar Zloty im „Emilbus“, aber auch nur, weil wir uns frühzeitig in die Schlange eingereiht hatten. Einige mussten mangels Platz zurückbleiben. Übrigens, Karmin Pomorski ist auch wunderbar mit dem Boot erreichbar. Aber – da ist ja eh nichts los...

Wir wettern weiter ab, uns wird nicht langweilig. Halten uns aber meist innerorts auf oder eben an Bord. Das heißt, eine Radtour riskiere ich noch. Und zwar über die Klappbrücke nach Wollin. Doch meinen Zielort erreiche ich wiederum nicht. Diesmal halten mich umfangreiche Straßenbauarbeiten davon ab. Also nun doch lesen, warum nicht gleich so...

Die Wetterprognose steht auf Weiterfahrt. Im Laufe des Tages soll der Wind weiter abschwächen. Ein paar Boote haben bereits abgelegt. Bin gespannt, wieviel Restwelle noch draußen vor der Flussmündung ist. Wir warten bis zum Nachmittag. Mit gesetztem Großsegel und Motorunterstützung müssen wir zunächst eine halbe Meile genau gegen an. Immer noch Nordwest 4-5 und 1,5 Meter Welle. Als ich abfalle und auf Kurs gehe, kommen mir Zweifel, ob wir ohne Wendemanöver auskommen oder gar auf den Motor ausweichen müssen. Doch Rasmus hat ein Einsehen, der Wind dreht ganz gemächlich weiter auf NNW und nimmt uns so mit, entlang der hohen Steilküste der Halbinsel Wollin. Dennoch ist es heute kein Genuss. Auf den letzten fünf Meilen, vor der Schifffahrtroute nach Swinemünde, entspannt es sich dann, wir können weiter abfallen und machen obendrein reichlich Speed.

Auf Höhe der Einfahrtsschneise gehen wir vom Gas, die Fock wird eingerollt. Jetzt nur noch zwei gemütliche Meilen, uns begleiten ein paar dicke Pötte. Vorm großen Hafenbecken schallt uns schon laute Musik entgegen. Jahrmarktsatmosphäre, die ich sooo liebe... Und hier gibt’s kein Entkommen. Auf der Suche nach einem geeigneten Liegeplatz entdecken wir dann auch den Verursacher – und er uns! Jedenfalls textet der Sänger der Live-Band spontan sein Lied um und ruft zur Begrüßung von der großen Bühne mehrfach „Chinta-Chinta-Chinta...“. So viel Ehre wurde uns noch nie zu Teil. Dankend drehen wir ab und finden schließlich abseits des Trubels ein etwas ruhigeres Plätzchen.

Die Sommerferien haben begonnen, entsprechend viel Betrieb auf den Straßen und am Strand. Doch uns beiden gefällt es hier, in Swinemünde – nachdem der Wochenendrummel am Hafen vorüber ist. Der Strand zieht sich in einer langgezogenen Bucht scheinbar unendlich weit. Am Horizont die Häuser der ersten deutschen Orte Ahlbeck und Heringsdorf. Sind neugierig, ob man den Grenzverlauf wohl ohne weiteres erkennt. Und ob! Zwar gibt’s hier unten am Wasser keine offiziellen Nationalitätshinweise und auch keinen Zaun, wie zwischen Nachbarn üblich. Doch diverse Verbotsschilder und unmissverständliche Aufforderungen, die wir entlang der naturbelassenen polnischen Küste zu keiner Zeit vermisst haben, stechen uns nun geradezu ins Auge: „Betreten nur nach Entrichtung der Kurtaxe ...“, „Strandburgen sind nicht erlaubt ...“, „Strandkörbe nicht umstellen ...“, Hunde – Kinder – FKK, alles ist nun wieder in deutscher Hand! Selbstverständlich fehlen nicht die Sanktionen mit entsprechenden Paragrafen bei Nichteinhaltung.


Abgeschreckt vom Schilderwald biegen wir ab, landeinwärts. Eine parallel zur Küste verlaufende ehemalige Landstraße wurde nach dem Schengener Abkommen zum Rad- und Fußweg umfunktioniert. Und dort wird dann auch ausführlich auf den Grenzverlauf mit Historie bis hin zu Flora und Fauna informiert. Reger Publikumsverkehr in beide Richtungen. So gelangen wir schließlich auf die stets gut besuchte Promenade. Per Fahrrad machen wir am nächsten Tag einen Antrittsbesuch in Ahlbeck und Heringsdorf. Am Ende der imposanten Seebrücke verweilen wir ein Weilchen auf einer Bank, umgeben von Möwengeschrei und Wellenrauschen. Ich schließe die Augen und träume ein wenig:strandkorbWo de Ostseewellen trecken an de Strand, wo de gäle Ginster bleugt in Dünensand,wo de Möwen schriegen grell in’t Sturmgebrus,Dor is mine Heimat, dor bün ick tau Hus!

 


 

Zurück in Meck-Pomm

Unsere erste Station auf Usedom also, und es werden noch viele weitere folgen. Doch die polnische Gastlandflagge wird erst niedergeholt, nachdem wir Swinemünde und Umland ausreichend inspiziert haben. Durch die Kaiserfahrt motoren wir gemächlich ins Stettiner Haff. Nun sind wir Sturm und Welle erst einmal nicht mehr unmittelbar ausgesetzt. Das Augenmerk ist jetzt auf Untiefen und Fischernetze ausgerichtet. Und zwar kommen hier vermehrt Stellnetze und obenliegende Netze zum Einsatz. Die können sogar Motorbooten mit wenig Tiefgang zum Verhängnis werden.

Bei guten Segelbedingungen lassen wir uns bis in die Bucht von Kamminke treiben. Entlang an gut markierten, aneinander gereihten Fischernetzen. In der betonnten Hafeneinfahrt wird’s dann brenzlich: Nur noch 20 cm Wasser unterm Kiel. Doch es reicht, ganz langsam erreichen wir so unseren ersten deutschen Liegeplatz. Oben, vom Golm, mit 71 Meter die höchste Erhebung Usedoms, ist Swinemünde zum Greifen nah. Es sind auch nur sechs km Luftlinie, für den Seeweg benötigten wir 3 ½ Stunden. Auf dem Golm eine große Kriegsgräberstätte in Gedenken der vielen Toten des zweiten Weltkrieges. An einem einzigen Tag im März 1945 mussten nach einem Angriff der Amis 29.000 Menschen in Swinemünde ihr Leben lassen. Unfassbar!

Ein kleines Flüsschen markiert den Grenzverlauf, direkt neben dem Hafen beginnend. Ein Spaziergang führt uns noch einmal zurück nach Polen. Nur ein paar Schritte über eine kleine Brücke liegt ein riesiges Schrebergartenareal, das schon mehrfach nationale Auszeichnungen erhalten hat. Fernab vom Tourismus ist in diesem kleinen naturbelassenen Hafen die Welt noch Ordnung. Mit gefällt es, auch wenn wir hier auf Strom und Wasser verzichten müssen. Vielleicht sind wir deshalb die einzigen Übernachtungsgäste im Hafen. Bevor wir weiter ziehen, bekommen wir noch Besuch an Bord. Ich staune nicht schlecht: Zwei Zollbeamten klopfen an der Bordwand: „Papiere, Kauf- und Versicherungsnachweis, Zigaretten ...“. Nach der Pflicht die Kür: Es folgt ein längerer munterer Plausch. Ich erkundige mich noch nach dem Grund des Besuches und ob es einen besonderen Anlass gäbe. Seine Version: „Fluchthilfe, Schmuggel... schon alles erlebt...“. Meine Version: „Einfach nur lange Weile...“ Aber das behalte ich dann doch für mich.

moenkebudeAuf der gegenüberliegenden Seite des Haffs liegt einer der schönsten Häfen der Region: Mönkebude. Das Vorsegel reicht aus, um 2 ½ Stunden später in dem kleinen schnuckeligen Hafen festzumachen. Strom und Frischwasser selbstverständlich auf dem Steg. Badestrand gegenüber, Sanitärgebäude mit Waschmaschinen und ein super-netter Hafenmeister. Doch, etwas Negatives gibt’s hier auch: Auf der Großleinwand verfolgen wir mit fachkundigem Publikum den endgültigen Untergang unserer Nationalmannschaft bei der Fußball-WM.

Baden, radeln (ins benachbarte Ueckermünde), einfach nur chillen und dann noch „Hering satt“. Auch an die traumhaften Sonnenuntergänge zum Tagesausklang haben wir uns längst gewöhnt. Es geht uns gut! Und zur Abwechslung zurück nach Usedom. Nach Karnin kann ich fast hinspucken. Liegen dort fast mit dem Bug im Schilf. Die Reste der zerstörten Eisenbahnbrücke ragen hoch in den Himmel hinein. Dann sind hier noch meine „Freunde“ vom Zoll mit ihren Booten untergebracht. Die Landstraße zu dieser Idylle, die reinste Katastrophe. Die hatten sie bei der Wende ganz offensichtlich nicht auf dem Zettel. Dennoch traue ich mich auf dem Rad bis zum gleichnamigen Ort der Insel Usedom. Uns wurde abgeraten, den dortigen Hafen wegen Tiefgang und Umbau anzulaufen. Mit Recht: Den Hafen gibt’s zurzeit schlichtweg nicht – alles weg! Wird mit EU-Mitteln ganz neu aufgebaut. Und ich dachte schon, die ganzen Förderungsmittel gehen nach Polen...

Die Räder verstauen wir nun nicht mehr in der Backskiste, sie sind im Dauereinsatz und die Tagesetappen im Peenestrom meist kurz. Hab nach der holprigen „Marlboro-Strecke“ vorsichthalber alle Schrauben am Fahrrad geprüft und nachgezogen. Die Wassertemperaturen haben längst die 20-Grad-Marke übersprungen. So beginnt der Tag meist mit einem Morgenbad vorm Frühstück. In Karnin beenden wir unser Frühstück jedoch abrupt, als wir bemerken, dass die Klappbrücke in Anklam eine Stunde früher öffnet als angenommen. Wunderten uns zunächst noch über die Betriebsamkeit unserer Nachbarn...

Das Vorsegel bleibt zunächst unser Hauptantrieb. So auch auf der zweistündigen Passage nach Rankwitz. Gegen ein zweites Frühstück gibt’s keinerlei Einwände. Die nächste Mahlzeit dann spätnachmittags in der weit über die Region bekannten „Alten Fischräucherei“, direkt am Hafen. Wer gern Fisch isst, sollte tunlichst nicht ohne hier einzukehren vorbei fahren. Auch am Verkaufstresen bilden sich oft lange Schlangen. Gern bleiben wir hier einen weiteren Tag. Freunde besuchen uns, also gleich noch mal lecker Fisch.

Auf der Route durchs Achterwasser ist ganz besondere Vorsicht geboten. Ein Fischernetz wird einem uns entgegenkommenden Segelboot zum Verhängnis. Es geht nicht mehr vor und nicht zurück. Die Schraube hat sich im Netz verheddert. Ein Tauchgang ist nun unausweichlich. Der beschauliche Hafen von Stagnieß liegt quasi in einer Waldlichtung. Die Einfahrt kann laut Hafenhandbuch gelegentlich versanden. Bin zunächst verunsichert – und dann erstaunt, als ich die neuen Spundwände in der Zufahrt entdecke. So ist langfristig eine ausreichende Solltiefe gewährt. Wie durch einen Flaschenhals erreichen wir die nach allen Seiten geschützten Liegeplätze. Ein Traum! Zu den schönen Stränden Usedoms ist es von hier nur ein Katzensprung. Unsere Radtour führt über Ückeritz durch bewaldete Wege nach Koserow und Bansin.

getraenkDas Ostseebad Zinnowitz ist zwar recht bekannt, für Segler aber weniger spannend. Umso mehr freuen wir uns auf Krummin, ganz am Ende der Krumminer Wiek. „Da müsst ihr unbedingt hin!“ Das haben wir nun schon mehrfach gehört. Und wir wurden in dem idyllischen Naturhafen nicht enttäuscht: Der Hafenmeister versorgt uns morgens mit Brötchen und steht abends am Grill. Gleich um die Ecke ist die „Naschkkatze“. In dem verwunschenen Bauerngarten findet man immer ein lauschiges Plätzchen für Kaffee und Kuchen und andere kleine Leckereien. Obendrein 5-Sterne-Feeling im neuen Sanitärbereich des Hafens. Gern bleiben wir hier ein paar Tage. Eine Radtour ins benachbarte Wolgast sorgt für Bewegung und Abwechslung. Auf dem Rückweg folgen wir dem Küstenverlauf, landen in dem verschlafenen 50-Seelen-Örtchen Neeberg und halten nach Dornröschen Ausschau...

Unsere achte und letzte Station auf Usedom steht noch aus. Der Wasserweg nach Karlshagen ist dann wiederum gespickt mit Hindernissen. Im letzten Moment erahne ich kurz vor dem Peenestrom mehr schlecht als recht markierte Fischernetzte. Mit einem 90-Grad-Sofort-Manöver und einem kleinem Umweg erreichen wir das Fahrwasser. Zwischen dem Tonnenpaar 57 und 68 ist die Fahrrinne offensichtlich teilweise versandet. Mehrere Segler berichteten schon von überraschender Grundberührung. Ganz langsam passieren wir, nahe der grünen Tonne, diese vermeintliche Gefahrenstelle – ohne Komplikationen. Hinter der Wolgaster Klappbrücke kommt dann im Konvoi mit etwa 20 Booten Regattafeeling auf. Zunehmender Wind und das schmale verwinkelte Fahrwasser treibt mir den Schweiß auf die Stirn. Der Hafen ist rappelvoll, ein Plätzchen finden wir dennoch. Das Fischangebot mal wieder reichlich und gut. Da geht kein Weg dran vorbei. Die gute Seemannskost strampele ich mir dann bei einem abendlichen Ausflug nach Peenemünde wieder ab.

 


 

Im Bodden

Bevor es auf den Greifswalder Bodden hinausgeht, verschwinden die Räder vorübergehend in der Backskiste. Einmal quer übern Bodden nach Seedorf. Der Weg lohnt sich! Nicht nur weil auch die Rüganer gut Fisch zubereiten können, nein – am beschaulichen Forellen-Steg des privaten Hafenbetreibers ist es einfach gemütlich. Und die hügelige, malerische Landschaft drum herum – wunderschön.

greifswaldSchietwetter ist angekündigt. Da sind wir in der Stadt besser aufgehoben... Gedacht, getan – auf nach Greifswald. Nach der lang anhaltenden Gut-Wetter-Periode ist der Himmel bereits grau verhangen, als wir die vielen Arbeitsmaschinen beim Bau der Gas-Pipeline im Bodden passieren. Im Wartemodus, vor der Wieker Holzklappbrücke, fallen uns dann die ersten Tropfen auf den Kopf. Wo liegt denn eigentlich das Ölzeug? Lange nicht benutzt! Die kurze Flusspassage entlang der Ryck endet für uns im Hafen der Hanse-Werft. So erleben wir täglich das abendliche Schauspiel beim Abtransport der gewaltigen 50-Fuß-Bootsrümpfe für Auftraggeber in Übersee. Sogar ein 70-Füßler liegt kurz vor der Fertigstellung an der Pier.

Doch so schlecht wird das Wetter dann gar nicht. Sehen uns das Halbfinale – ohne deutsche Beteiligung – draußen auf dem Marktplatz, beim Italiener, an. So ganz nebenbei bewundere ich die anmutende mittelalterliche Backsteingotik der Fassaden. Überhaupt ist die junggebliebene Hanse- und Universitätsstadt eine Augenweide, irgendwie zum Anfassen mit den vielen einladenden Lokalitäten. Das Fahrrad scheint hier Hauptverkehrsmittel zu sein, wir nutzen es für einen kleinen Ausflug nach Wiek. Prompt regnet es. Die gesprächigen Brückenwärter gewähren uns Unterschlupf und erzählen Wissenswertes über ihren Job an der handbetriebenen holländischen Holzklappbrücke von 1887. Zurzeit werden die Ketten ausgetauscht, da sich die Kettenglieder bedenklich geweitet haben. Also, keine Langeweile beim Abwettern.

Bei allerbestem Segelwetter kreuzen wir den landschaftlich reizvollen Strelasund auf bis in die Gustower Wiek. Tiefenmesser sowie die uns begleitenden und entgegenkommenden Boote stets fest im Blick. Den mustergültig ausgestatteten Jaich-Hafen mit den angrenzenden Wasserhäusern ist nur zu empfehlen. Und drum herum Natur pur. Auf der Landzunge Drigge scheint die Zeit stehengeblieben zu sein – vor der Wende.

Unmittelbar vor der Strelasundbrücke machen wir noch einen Halt auf Dänholm. Die kleine Zubringerinsel von Rügen, ein Paradies der besonderen Art und die Menschen dort einfach nur nett und zuvorkommend. Stralsund ist mit dem Rad in wenigen Minuten gut erreichbar. Neben der Altstadt und dem Discounter haben wir ein ganz besonderes Ziel. Haben uns bei der Störtebecker Brauerei zu einer Betriebsbesichtigung angemeldet. Und die wurde dann auch, einschließlich einer lehrreichen Verkostung (diverse kleine Proben), sehr professionell durchgeführt.

Doch ein weiteres Highlight steht uns als Krönung unserer Meck-Pomm-Visite noch bevor. Denn Hiddensee ist immer wieder ein Traum, in diesem Jahrhundertsommer allemal. Das Boddengewässer beansprucht unsere ganze Aufmerksamkeit, vor allem, wenn sich rücksichtlose Wassertaxen nähern. Doch die 20 Meilen bis Kloster sind dennoch schnell erreicht. Gerade legt dort einer ab, wir schlüpfen in die Lücke. Glück gehabt! Spätestens ab mittags beginnt in dem beliebten Hafen denn auch die Platzsuche – oft vergebens.

Wir freuen uns aufs Wandern, Radeln, einfach nur in der Sonne dösen und baden – baden – baden. Doch wir wissen auch aus der Vergangenheit: die Tage sind hier leider viel zu kurz. So nutzen wir zunächst den gut ausgebauten, breiten Radweg bis nach Neuendorf. Da die Fahrräder ohne Klimaanlage sind, versuchen wir mit Eis zu kühlen. Autos sind hier tabu, dafür die Vielfalt an Tieren umso spannender. Die größten laufen auf der Straße rum und ziehen eine Kutsche mit Touris hinter sich her. Abgasproblem = Fehlanzeige. Und die paar Pferdeäpfel sind schnell wieder verschwunden. Das Land ist meist flach, mit Gras und Heide bewachsen, hier und da ragt ein Kiefernwäldchen hervor. Dem Strand sind größtenteils Dünen vorgelagert. Dieses ganz besondere Refugium hat auch schon zu früheren Zeiten Dichter und Denker angelockt und inspiriert. Die Grabstätte und das Haus von Gerhart Hauptmann sind heute Touristenmagnete. Die meisten gut erhaltenen inseltypischen Häuser findet man in und um Kloster.

leuchturmDer abenteuerliche, urwaldähnelnde Wanderweg entlang der Steilküste, hoch zum Dornbusch, hat es mir besonders angetan. Zur Belohnung gibt’s oben am Leuchtturm eine ausgedehnte Pause mit genialem Rundumblick. Der Rückweg durch Grieben, vorbei an Bauernhöfen mit weidenden Pferden, Alpakas und ein paar Hühnern hat ebenfalls seinen Charme. Eine leckere Stärkung im beliebten Bistro am Klostergarten ist uns nun sicher. Sonst muss meist Willi‘s Fischbarkasse für einen kleinen Gaumenschmaus zwischendurch herhalten. An Bord der CHINTA bekommen wir Besuch, den wir ein paar Tage zuvor in der Störtebecker Brauerei kennengelernt hatten.

Die Beliebtheit der Insel spricht für sich, auch in unserem Segelclub. Innerhalb von drei Tagen laufen – ohne vorherige Absprache – fünf Boote der SVF in Kloster ein. Natürlich wird ein Beweisfoto für das Mitteilungsblatt des Vereins gemacht. Nach dem Ablegen kommt uns dann auch noch im engen Fahrwasser die KIEKAN aus Flensburg entgegen. Für den Rückweg über Dänemark hatten wir uns erst kurz zuvor entschieden. Die deutsche Küste erscheint bei der Windprognose weniger geeignet.

 


 

Hochsaison in DK

So kommt für die übrigen zehn Tage noch die dänische Gastlandflagge zum Einsatz. Bei anhaltend schönem Wetter fühlen wir uns nicht genötigt die kürzeste Route Richtung Heimat zu wählen. Die Badehose trocknet nur kurz über Nacht. Sind also weiterhin im Genießermodus, wären da nicht die vollen Häfen und überhöhten Preise in Dänemark. So liegen wir auf unserem bisherigen Törn in Klintholm erstmals im Päckchen. Durch das Smålandfahrwasser geht es über Stubbekøbing und Karrebæksminde zur kleinen Insel Agersø. Die Badeplattform mit Dusche, direkt vorm Bug der CHINTA, zieht mich geradezu magisch an. Während wir auf der anderen Inselseite am Strand entlang wandern bewegen sich jede Menge dicke Pötte gemächlich im Gänsemarsch entlang der Schifffahrtslinie. Im Norden erstreckt sich die Storebeltbrücke vor unseren Augen im Großformat.

Diese kleine Insel mit der großen Windmühle hat es uns irgendwie angetan. Kommen kaum wieder los. Schließlich führt uns der Weg weiter über den Großen Belt, vorbei an der Nordspitze Langelands, nach Lundeborg. Das alte Hafenbecken mit kurzem Weg zum Strand ist ganz nach meinem Geschmack. Auf der weiteren Route durch den Svendborg-Sund steuern wir zielstrebig die kleine Insel Drejø an. Vergebens – die wenigen Plätze sind alle belegt. Bereits das Boot vor uns musste unverrichteter Dinge abdrehen.

In Søby ist die Liegeplatzsituation dagegen wesentlich besser. Dafür rauscht so kurz vorm Törnende noch ein kräftiges Tief über uns hinweg. Am nächsten Abend entlädt sich dann der Himmel. Die Wolken öffnen ihre Pforten, als wollten sie das Versäumte der letzten Wochen nun in aller Kürze nachholen. Blitze erleuchten den Abendhimmel. In der vom Tage aufgeheizten Kuchenbude genießen wir dieses außergewöhnliche Schauspiel in Badezeug. Das Wasser strömt an den Scheiben runter. Zum „Spätfilm“ ziehen wir uns dann doch noch was über. Eine Mondfinsternis steht auf dem Programm, die so nur alle Jubel Jahre mal vorkommt. Sie ist zunächst kaum wahrzunehmen. Klar, wenn‘s doch finster ist... Doch dann tritt der Mond, nun deutlich sichtbar, langsam als Sichel aus dem Schatten der Erde hervor.

Als wäre nichts gewesen, steigt die Sonne am nächsten Morgen am flensöstlichen Horizont aus dem Meer empor. So ganz ohne weitere geophysikalische Bedrohungen überqueren wir den Kleinen Belt und laufen für ein Abschlussessen Gelting Mole an. Am 30. Juli, kurz vor 12 Uhr, machen wir nach 1.200 Seemeilen in unserem Heimathafen Flensburg fest.

Fazit: Welch ein Jahrhundertsommer hat uns das Jahr 2018 beschert! Von den paar kurzen Eskapaden abgesehen... Polen war ein tolles Erlebnis, Meck-Pomm war einfach nur schön. Mannschaft wohlauf – Boot intakt! Auch alle anderen Crewmitglieder haben längst wieder heimischen Boden unter den Füßen. Ankommen ist schön, besonders in der Heimat! Zwei herrliche Sommermonate stehen uns noch bevor...

 

 

 

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