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Mit "Alhena" durch die Kleinen Antillen 1999

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Seit Wochen die erste "Bauernnacht" – herrlich! Mit dem Erwachen waren alle Strapazen der Überfahrt vergessen. Wir waren auf Barbados!

Ein Rundblick aus dem Luk zeigte die Carlisle Bay in strahlender Morgensonne. Außer "Alhena" ankerten etwa 80 Yachten auf der weiten Reede, Flaggen aus aller Herren Länder! Die quirlige Hauptstadt Bridgetwon übte jetzt eine magische Anziehungskraft auf uns aus, besonders das Postamt, denn dort sollte unsere Weihnachtspost, Nachrichten aus der Heimat lagern! Schnell war das Minischlauchboot (für 2 Personen) aufgeblasen. Aber Wind und Schwell machten es uns unmöglich, mit der Nußschale rudernd das Land zu erreichen. Nach mehreren Versuchen gaben wir völlig durchnäßt und entnervt auf. Die Stimmung tendierte steil nach unten. Keine Dusche, kein Frischproviant und vor allem keine Post nach 24 Seetagen – das konnte nicht wahr sein!! Kurzentschlossen winkte Gabriele einem vorüberfahrenden großen Motor-Dingi, das sie problemlos an Land brachte. Zurück blieb der zerknirschte Skipper, der es nicht vermocht hatte, seiner "Besatzung" den ersten Karibik-Landgang selber zu ermöglichen. Aber man lernt ja nie aus. Ich beobachtete nun die Manöver der anderen Dingis – alle mit Außenborder – wie sie durch die Brandung schossen und dann schnell den Motor hochklappten, bevor das Boot auf dem Strand aufsetzte. Es war richtig spannend, denn längst nicht alle Manöver klappten reibungslos. Z. B. lief ein Boot mit drei Erwachsenen und zwei Kindern besetzt zu zögerlich an, schlug in der Brandung quer, ging überkopf, und alles wirbelte durcheinander – nicht ungefährlich, wenn man dabei vom Motor getroffen wird! Dieses Negativbeispiel stärkte meine Position gegenüber den Vorwürfen meiner "Besatzung", ich hätte am Außenborder gespart. Außerdem wußte ich nun, worauf es ankam: Das Dingi mußte ganz genau senkrecht zu den Wellen gehalten und auf dem Wellenberg beschleunigt werden, um so möglichst hoch auf den Strand getragen zu werden. Der schwedische Segler Trygve gab mir den entscheidenden Tip: "Nicht pullen! Ihr beide müßt jeder einen Riemen als Stechpaddel benutzen!" – Unser erstes Anlandemanöver klappte dann auch ohne Zwischenfall.

Die Zuständigkeiten waren bei uns klar geregelt. Auf See hatte ich das Sagen, an Land lagen Planung und Organisation in Gabrieles Händen. Es machte ihr viel Spaß, und so war stets volles Programm angesagt. Per Bus und immer wieder auf endlosen Fußmärschen erforschten wir während der 2 1/2 wöchigen Liegezeit die Insel. Gabriele hatte herausgefunden, daß an Wochenenden Exkursionen vom National Trust stattfanden, um den interessierten Einheimischen fernab von den Pfaden der Kreuzfahrt-Touristen die Schönheit ihrer Heimatinsel näherzubringen. Als einzige ausländische Segler wurden wir von den Bajans (= Einwohner von Barbados) herzlich in dieser Runde aufgenommen und bekamen so interessante Informationen über Land und Leute. Aber wir durften unsere Reiseplanung nicht aus den Augen verlieren. Irgendwann wollten wir doch auch noch die US-Virgin Islands besuchen. Und welche Schwierigkeiten Segler ohne Visum dort bekommen, hatte ja unser Segelkamerad Erich Neidhardt in der "Backskiste" anschaulich geschildert! Aus einem "Trans-Ocean" Heft wußte ich, daß Barbados der einzige Ort in den Kleinen Antillen ist, wo US-Visa erteilt werden. Also marschierten wir zur US-Botschaft und reihten uns in die große Schar der Antragsteller ein. Am ersten Schalter Antrag, Pässe und Paßbilder abgeben, am zweiten Visa-Gebühren einzahlen, dann geduldiges Warten auf kargen Holzbänken. Endlich wurden wir an einem der Ausgabeschalter aufgerufen. Die junge Beamtin machte uns klar, daß es für uns als Ausländer kein Visum gäbe, nur für Bajans! Sie sei ja gar nicht in der Lage, unsere finanzielle Situation zu überprüfen! Da aus technischen Gründen eine Rückerstattung der bereits eingezahlten Gebühren nicht möglich war, einigten wir uns nach langem Hin und Her, daß man eine letzte Ausnahme machen wolle, falls ich eine befriedigende Liquiditätsauskunft meiner heimatlichen Bank vorweisen könnte. Ein Fax wollte man akzeptieren. Zum Glück besaß nun unsere Tochter in der Heimat Bankvollmacht und konnte so unsere Bank von der Notwendigkeit des finanziellen Striptease überzeugen. Bereits am nächsten Tag konnten wir bei der Hauptpost in Bridgetown das entsprechende Fax in Empfang nehmen. Die US-Beamtim war zufrieden und erteilte uns das begehrte 10-Jahres-Visum, allerdings mit der Auflage, alle unsere Segelkameraden zu informieren, daß die US-Botschaft in Bridgetown, Barbados, ausländischen Seglern zukünftig keine Visa mehr erteilen würde.

Auf der Reede der Carlisle Bay herrschte ein reges Kommen und Gehen der Yachten. Man traf sich an der Strandbar vom "Boatyard" zum Drink, zum Klönschnack und zum Informationsaustausch. Mit großem Hallo wurden Segler begrüßt, die wir schon drüben in Europa kennengelernt hatten, andere wurden verabschiedet. Mitte Januar war "Alhena" dann mittlerweile das Boot, das mit am längsten hier ankerte, nur unsere direkten Nachbarn, Marylou und Brian von der britischen Yacht "Galadriel of Lórient" lagen schon genauso lange hier. Auf unsere Frage nach ihren weiteren Plänen zeigten sie sich ganz unentschlossen: Sie wüßten nicht, ob sie ihre geplante Weltumseglung fortsetzen könnten. Seit zwei Jahren unterwegs, sehnte sich der gute Brian, von Beruf Schiffsingenieur, nach seinen Freunden und dem gemütlichen Pub in seiner Heimatstadt London zurück. Heimweh hatte ihn befallen und drohte, seine ganzen Segelpläne einer langen Weltreise zu ersticken. Als wir am 21. Januar endlich ankerauf gingen und "Alhena" vor frischem Passat die Reede verließ, winkten wir uns noch lange zu. Hoffentlich haben die beiden bald wieder ein gemeinsames Ziel gefunden, das sie mit frohem Herzen verfolgen, gleichgültig, ob es im Westen oder Osten liegt. –

"Alhena" gefiel es sichtlich, mit prall gefüllten Segeln durch die tintenblaue See zu rauschen. Schon am nächsten Tag tauchte unser Ziel in der Kimm auf: Grenada, die südlicheste der Kleinen Antillen. Eine üppige Vegetation bedeckte die Hänge bis hinab zum Ufersaum, wo ein blendend weißer Sandstrand das satte Grün scharf gegen das Türkis des korallenbewehrten Küstenmeeres absetzte. Korallenriffe – eine völlig neue navigatorische Herausforderung für mich! Entsprechend angespannt, ja gereizt war die Stimmung des Skippers, als bei der Suche der Riffdurchfahrt zur Mount Hartman Bay die vorgelagerten gefährlichen Porpoises-Klippen – meist nur an den brechenden Seen zu erkennen – wegen des ungünstigen Sonnenstandes nicht gesehen wurden! Doch dann kam wie eine Erlösung die Einfahrt markierende Tonne in Sicht. "Alhena" glitt durch die Riffdurchfahrt, rechts und links brandete die Dünung auf dem flachen Riff, dann waren wir drin in der völlig geschützten, herrlichen Bucht, an deren NW-lichem Ende die Marina Secret-Harbour der US-Charterfirma "Moorings" lag. Die hohen Dockraten hielten uns nicht davon ab, den so lange entbehrten Luxus eines Stegliegeplatzes mit Wasseranschluß, Duschen usw. zu genießen. Grenada trägt den Beinamen Gewürzinsel. Neben Kakao, Zimt und Nelken werden hier allein 30 % der Weltproduktion an Muskatnüssen geerntet. Sogar in der Nationalflagge ist die Muskatnuß verewigt! Und jetzt war Erntezeit! Auf unseren Streifzügen sammelten wir so viele dieser Nüsse auf, daß wir nun für lange Zeit handfeste Erinnerungsstücke an Grenada im Küchenschrank haben.


 

Von diesem südlichsten Punkt unserer Reise führte nun der Weg nordwärts, von Insel zu Insel. Wie eine 700 sm lange Perlenschnur lagen sie in einem weiten Bogen vor uns ausgebreitet. Rund drei Monate Zeit standen uns für das Insel-Hopping zur Verfügung, dazu Sonne pur, kristallklares, 26 ° C warmes Wasser und relativ konstanter Segelwind – Traumrevier Karibik! Aber auch die Schattenseiten blieben nicht verborgen. Während die ehemals französischen Kolonien zu Überseedepartements des Mutterlandes wurden und durch kräftige Finanzspritzen auf europäischen Standard gehalten werden, haben die Briten ihre Inseln in die Selbständigkeit und damit in die Armut entlassen. Die zu 90 % farbige Bevölkerung begegnete uns überwiegend freundlich und hilfsbereit. Sie ist anspruchslos und zufrieden mit dem Wenigen, was sie besitzt. Aber wie lange noch? Der Kreuzfahrttourismus überschwemmt die Inseln, die Charteryacht-Flotten wachsen rapide. Täglich wird die Bevölkerung mit dem Reichtum der Touristen konfrontiert. Auf St. Thomas kamen z.B. jeden Morgen drei große Kreuzfahrtschiffe an, jedes mit ca. 2000 Passagieren an Bord. Die ergossen sich dann über den Ort, kauften, was ihnen preiswert erschien, aber für die Einheimischen unerschwinglich ist, bevölkerten die Lokale, brausten mit dem Taxi quer durch die Insel zu den Sehenswürdigkeiten. Der Spuk endete am späten Nachmittag, wenn die Schiffe wieder ausliefen, um an nächsten Morgen eine andere Insel zu beglücken.

Wir hielten uns von diesem Rummel, soweit es ging, fern. Noch gibt es sie, die stillen, malerischen Buchten, in denen man den Ankerplatz nur mit wenigen anderen Yachten teilt. Aber wenn Proviant, Wasser und Kraftstoff zu Ende gehen, muß man zwangsläufig die größeren Orte anlaufen. Zu diesem Zweck kamen wir nach Pointe-A-Pitre auf Guadeloupe. Diese Insel hat die Form eines Schmetterlings. Die beiden Inselhälften sind durch einen ca. 5 km breiten Isthmus verbunden, der aus Mangrovensümpfen besteht. Da hindurch führt ein natürlicher Kanal, der Rivière Saleè, an dessen Südausgang Pointe-A-Pitre liegt. Auf unserem Weg nordwärts gab es nun zwei Alternativen: Der direkte Weg durch den Kanal oder ein großer Umweg außen um die Insel herum. Einem TO-Heft Jahrgang '93 hatte ich den Bericht eines Seglers entnommen, der die Kanalpassage genau beschreibt. Der hatte zwar in dem flachen Graben Grundberührung gehabt, da "Alhena" aber einen geringeren Tiefgang hat, mußte die Durchfahrt für uns problemlos möglich sein. Trotz meiner Abneigung gegenüber flachen, unbekannten Gewässern entschied ich mich – sehr zur Verwunderung meiner "Besatzung" – für die Kanalpassage. Zwei dicht parallel verlaufende Straßenbrücken führen im Süden über den Kanal. Sie sind als Klappbrücken ausgeführt, die nur bei Bedarf einmal täglich um 05.00 Uhr, also bei Dunkelheit, öffnen. Am Nachmittag des Vortages legten wir uns unmittelbar vor der Brücke im Kanaleingang vor Anker. Später kam noch eine weitere Yacht, ankerte mit großem Abstand, aber offensichtlich mit der gleichen Absicht, den Kanal zu befahren. Rechtzeitig am nächsten Morgen waren wir in Fahrt, als sich pünktlich um 05.00 Uhr die Brücke öffnete. Ich ließ die andere Yacht vor. Sie kam von der Nachbarinsel Antigua, hatte also Ortskenntnis, und ich konnte ggf. davon profitieren. Wie in besagtem Artikel beschrieben, wollte ich gleich hinter der Brücke ankern, um dann bei Tageslicht durch die sicher interessante Mangrovenlandschaft zu fahren. Alles war wie beschrieben: Im Streulicht der Autobahn sahen wir die zahllosen weißen Federbuschreiher schlafend auf den Büschen hocken, drehten bei und wollten gerade den Anker fallen lassen, da krächzte plötzlich ein Lautsprecher von der Brücke herüber: "… second ship – second bridge – go! go! go!" Waren wir gemeint? Die Antigua-Yacht war mittlerweile zwischen den stockdunklen Mangroven verschwunden. Wieder erklang das "go! go! go!", eindringlicher, fordernder. "…second bridge! go! go!" Kein Zweifel, wir waren ja weit und breit das einzige Fahrzeug, wir sollten weiterfahren! Also dann los! Der Naturkanal war ohne jede Beleuchtung, die Mitte der Rinne konnte man in der Dunkelheit nur ahnen! Aber es half nichts, da mußten wir nun durch! Ein Trost blieb mir: Der Grund war schwarzer Schlick und keine harten Korallen. Mit 5 kn hoffte ich, auf unseren Vordermann heranschließen zu können. Warum hatte der uns nicht mitgenommen? Wir hatten ihm doch bei der Brückenpassage noch zugerufen, daß er vorausfahren solle, wir hätten keinerlei Ortskenntnis! Ab und zu tauchte nun sein Hecklicht voraus auf, um in nächsten Augenblick hinter einer Biegung wieder zu verschwinden. Unsere Augen bohrten sich in die Dunkelheit. Plötzlich schoß von Stb. ein hell beleuchtetes Monster aus dem Dickicht auf den Kanal und – indem es wendete – blendete es uns mit grellen Scheinwerfern! Dann verschwand es so plötzlich wie es gekommen war auch wieder mit aufheulenden Turbinen in den Mangroven. Der Spuk war vorbei. Es wurde uns klar, daß hier eine Startbahn für Verkehrsmaschinen lag, um deren Wendehammer unser Kanal in einer engen Kurve herumführte. Nach diesem Hindernis tauchte dann ein hell erleuchtetes Bauwerk auf. Wir sahen gerade noch das Hecklicht unseres Vordermannes darin verschwinden. Das war es also, die "second bridge". Die existierte also 1993 noch nicht! Und schon erklang auch hier wieder das "go! go! go!". Wären wir nur wenige Minuten später gewesen, wären wir zwischen den geschlossenen Brücken für 24 Stunden in dem Mangrovensumpf eingeschlossen gewesen! Als wir auch dieses Hindernis überwunden hatten, fiel erst einmal der Anker, und wir beruhigten unsere gestreßten Nerven erst einmal mit einem guten Frühstück. Zwei Stunden später genossen wir dann den Rest der Kanalfahrt bei strahlendem Sonnenschein. Die flachste Stelle im Nordausgang passierten wir ohne Grundberührung, und die Passage durch das breite, vorgelagerte Korallenriff war für uns bei optimalem Sonnenstand und vorhandener Betonnung nur noch Routine. Wie hieß es doch in dem TO-Erfahrungsbericht: "Eine mehrstündige Fahrt im Landesinneren einer der schönsten Inseln der Karibik!" Für uns ist der Rivière Salée nur noch als die karibische Geisterbahn in Erinnerung! –

Längst hatten wir den Scheitelpunkt des Antillenbogens hinter uns. Mit halbem Wind genossen wir traumhaftes Karibiksegeln. Über Antigua, St. Barthélemy, die brit. und US-Jungferninseln erreichten wir Mitte April schließlich Charlotte Amalie, die Hauptstadt der ehemals dänischen Insel St. Thomas. Eine unvergeßliche Reise durch die karibische Inselwelt ging zu Ende. Eine ungleich größere Herausforderung stand nun bevor, die Rückreise über den Nordatlantik zurück in die Heimat.

Wolfgang Gerstenberg

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