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Mit "Alhena" durch die Kleinen Antillen 1999 - Seite 2

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Von diesem südlichsten Punkt unserer Reise führte nun der Weg nordwärts, von Insel zu Insel. Wie eine 700 sm lange Perlenschnur lagen sie in einem weiten Bogen vor uns ausgebreitet. Rund drei Monate Zeit standen uns für das Insel-Hopping zur Verfügung, dazu Sonne pur, kristallklares, 26 ° C warmes Wasser und relativ konstanter Segelwind – Traumrevier Karibik! Aber auch die Schattenseiten blieben nicht verborgen. Während die ehemals französischen Kolonien zu Überseedepartements des Mutterlandes wurden und durch kräftige Finanzspritzen auf europäischen Standard gehalten werden, haben die Briten ihre Inseln in die Selbständigkeit und damit in die Armut entlassen. Die zu 90 % farbige Bevölkerung begegnete uns überwiegend freundlich und hilfsbereit. Sie ist anspruchslos und zufrieden mit dem Wenigen, was sie besitzt. Aber wie lange noch? Der Kreuzfahrttourismus überschwemmt die Inseln, die Charteryacht-Flotten wachsen rapide. Täglich wird die Bevölkerung mit dem Reichtum der Touristen konfrontiert. Auf St. Thomas kamen z.B. jeden Morgen drei große Kreuzfahrtschiffe an, jedes mit ca. 2000 Passagieren an Bord. Die ergossen sich dann über den Ort, kauften, was ihnen preiswert erschien, aber für die Einheimischen unerschwinglich ist, bevölkerten die Lokale, brausten mit dem Taxi quer durch die Insel zu den Sehenswürdigkeiten. Der Spuk endete am späten Nachmittag, wenn die Schiffe wieder ausliefen, um an nächsten Morgen eine andere Insel zu beglücken.

Wir hielten uns von diesem Rummel, soweit es ging, fern. Noch gibt es sie, die stillen, malerischen Buchten, in denen man den Ankerplatz nur mit wenigen anderen Yachten teilt. Aber wenn Proviant, Wasser und Kraftstoff zu Ende gehen, muß man zwangsläufig die größeren Orte anlaufen. Zu diesem Zweck kamen wir nach Pointe-A-Pitre auf Guadeloupe. Diese Insel hat die Form eines Schmetterlings. Die beiden Inselhälften sind durch einen ca. 5 km breiten Isthmus verbunden, der aus Mangrovensümpfen besteht. Da hindurch führt ein natürlicher Kanal, der Rivière Saleè, an dessen Südausgang Pointe-A-Pitre liegt. Auf unserem Weg nordwärts gab es nun zwei Alternativen: Der direkte Weg durch den Kanal oder ein großer Umweg außen um die Insel herum. Einem TO-Heft Jahrgang '93 hatte ich den Bericht eines Seglers entnommen, der die Kanalpassage genau beschreibt. Der hatte zwar in dem flachen Graben Grundberührung gehabt, da "Alhena" aber einen geringeren Tiefgang hat, mußte die Durchfahrt für uns problemlos möglich sein. Trotz meiner Abneigung gegenüber flachen, unbekannten Gewässern entschied ich mich – sehr zur Verwunderung meiner "Besatzung" – für die Kanalpassage. Zwei dicht parallel verlaufende Straßenbrücken führen im Süden über den Kanal. Sie sind als Klappbrücken ausgeführt, die nur bei Bedarf einmal täglich um 05.00 Uhr, also bei Dunkelheit, öffnen. Am Nachmittag des Vortages legten wir uns unmittelbar vor der Brücke im Kanaleingang vor Anker. Später kam noch eine weitere Yacht, ankerte mit großem Abstand, aber offensichtlich mit der gleichen Absicht, den Kanal zu befahren. Rechtzeitig am nächsten Morgen waren wir in Fahrt, als sich pünktlich um 05.00 Uhr die Brücke öffnete. Ich ließ die andere Yacht vor. Sie kam von der Nachbarinsel Antigua, hatte also Ortskenntnis, und ich konnte ggf. davon profitieren. Wie in besagtem Artikel beschrieben, wollte ich gleich hinter der Brücke ankern, um dann bei Tageslicht durch die sicher interessante Mangrovenlandschaft zu fahren. Alles war wie beschrieben: Im Streulicht der Autobahn sahen wir die zahllosen weißen Federbuschreiher schlafend auf den Büschen hocken, drehten bei und wollten gerade den Anker fallen lassen, da krächzte plötzlich ein Lautsprecher von der Brücke herüber: "… second ship – second bridge – go! go! go!" Waren wir gemeint? Die Antigua-Yacht war mittlerweile zwischen den stockdunklen Mangroven verschwunden. Wieder erklang das "go! go! go!", eindringlicher, fordernder. "…second bridge! go! go!" Kein Zweifel, wir waren ja weit und breit das einzige Fahrzeug, wir sollten weiterfahren! Also dann los! Der Naturkanal war ohne jede Beleuchtung, die Mitte der Rinne konnte man in der Dunkelheit nur ahnen! Aber es half nichts, da mußten wir nun durch! Ein Trost blieb mir: Der Grund war schwarzer Schlick und keine harten Korallen. Mit 5 kn hoffte ich, auf unseren Vordermann heranschließen zu können. Warum hatte der uns nicht mitgenommen? Wir hatten ihm doch bei der Brückenpassage noch zugerufen, daß er vorausfahren solle, wir hätten keinerlei Ortskenntnis! Ab und zu tauchte nun sein Hecklicht voraus auf, um in nächsten Augenblick hinter einer Biegung wieder zu verschwinden. Unsere Augen bohrten sich in die Dunkelheit. Plötzlich schoß von Stb. ein hell beleuchtetes Monster aus dem Dickicht auf den Kanal und – indem es wendete – blendete es uns mit grellen Scheinwerfern! Dann verschwand es so plötzlich wie es gekommen war auch wieder mit aufheulenden Turbinen in den Mangroven. Der Spuk war vorbei. Es wurde uns klar, daß hier eine Startbahn für Verkehrsmaschinen lag, um deren Wendehammer unser Kanal in einer engen Kurve herumführte. Nach diesem Hindernis tauchte dann ein hell erleuchtetes Bauwerk auf. Wir sahen gerade noch das Hecklicht unseres Vordermannes darin verschwinden. Das war es also, die "second bridge". Die existierte also 1993 noch nicht! Und schon erklang auch hier wieder das "go! go! go!". Wären wir nur wenige Minuten später gewesen, wären wir zwischen den geschlossenen Brücken für 24 Stunden in dem Mangrovensumpf eingeschlossen gewesen! Als wir auch dieses Hindernis überwunden hatten, fiel erst einmal der Anker, und wir beruhigten unsere gestreßten Nerven erst einmal mit einem guten Frühstück. Zwei Stunden später genossen wir dann den Rest der Kanalfahrt bei strahlendem Sonnenschein. Die flachste Stelle im Nordausgang passierten wir ohne Grundberührung, und die Passage durch das breite, vorgelagerte Korallenriff war für uns bei optimalem Sonnenstand und vorhandener Betonnung nur noch Routine. Wie hieß es doch in dem TO-Erfahrungsbericht: "Eine mehrstündige Fahrt im Landesinneren einer der schönsten Inseln der Karibik!" Für uns ist der Rivière Salée nur noch als die karibische Geisterbahn in Erinnerung! –

Längst hatten wir den Scheitelpunkt des Antillenbogens hinter uns. Mit halbem Wind genossen wir traumhaftes Karibiksegeln. Über Antigua, St. Barthélemy, die brit. und US-Jungferninseln erreichten wir Mitte April schließlich Charlotte Amalie, die Hauptstadt der ehemals dänischen Insel St. Thomas. Eine unvergeßliche Reise durch die karibische Inselwelt ging zu Ende. Eine ungleich größere Herausforderung stand nun bevor, die Rückreise über den Nordatlantik zurück in die Heimat.

Wolfgang Gerstenberg

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