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Die Ostschären

Dank gutem Wind haben wir in den ersten Tagen viele Meilen Richtung Osten gemacht. Würden wir das Tempo so beibehalten, wäre schon nach fünf Wochen unser gesamter 2.000-Meilen-Törn zu Ende. Der Gedanke stimmt mich nachdenklich. Doch zunächst wollen wir ja in der Tat in möglichst großen Schritten dem Heimatrevier entfliehen, um neues Land zu erobern. Von einem Flauten-Start in Flensburg abgesehen, war die weitere Fahrt durch das Småland-Fahrwasser zur schwedischen Südküste ein Hochgenuss für unsere kleine Männercrew.

Im Gegensatz zu mir haben meine Begleiter den Zeitfaktor fest im Fokus. Mein Segelkamerad Carsten konnte berufsbedingt erst in Langballigau zusteigen und muss nach einer Woche schon wieder von Bord. Klaus wird mich zwei Wochen begleiten. Insofern ist ein breites Grinsen in unseren Gesichtern unverkennbar, als wir am fünften Segeltag die berüchtigte Hanöbucht mit freundlicher Unterstützung von vier Windstärken aus Südwest überqueren und am Abend in Utklippan festmachen.

Dieser „Mikrokosmos“, unterhalb des Kalmarsunds, übte schon immer eine magische Anziehungskraft auf mich aus. Wohlwissend, dass es hier nur zwei Gebäude gibt: Einen Leuchtturm und ein Scheißhaus. Zwischen Einlaufbier und warmer Mahlzeit erkunden wir die zerklüfteten Steinhügel. Die angriffslustigen Möwen verteidigen ihr Refugium. Mit Recht, schließlich ist Brutzeit. Eine angenehmere Art der schwedischen Willkommenskultur werden wir wohl noch kennenlernen. An diesem Tag haben vier weitere Boote den langen Weg hierher gefunden. Einer internationalen Völkerverständigung steht nichts im Wege. Das bühnenreife Abendlicht bietet eine angemessene Kulisse. Seemannsherz, was willst du mehr?

Die Nachbarinsel Utlängan und den ehemaligen Handelshafen Sandhamn passieren wir in Sichtweite auf dem Weg nach Kalmar. Bei moderatem achterlichen Wind gleiten wir unter Groß und Gennaker an Kristianopel vorbei in den Kalmarsund. Sogar der Strom ist mit uns. Kurz vor der langen Brücke, die das schwedische Festland mit der königlichen Insel Öland verbindet, ist die gut betonnte Hafeneinfahrt unseres heutigen Tagesziels erkennbar. 380 Seemeilen liegen im Kielwasser. Die Stimmung an Bord ist gut.

Carsten hegt noch keinerlei Abmusterungsgedanken, trotz idealer Bahnanbindung, gleich um die Ecke. Nur allzu gut verstehe ich ihn. Wer tauscht schon freiwillig die gemütliche Koje auf einem Segelboot mit einer harten Sitzbank bei der Bahn? Die 60.000-Einwohner-Stadt konfrontiert uns erstmals auf unserem Törn mit „richtigem“ Leben. Der Hafen ist nur spärlich besetzt, doch in der Stadt pulsiert das Leben. Unsere Sightseeing- und Shoppingtour verläuft in jeder Hinsicht erfolgreich. Mein wichtigster Einkauf: Eine schwedische Sim-Karte.

Ganz unbewusst erfolgt nun eine mentale Umstellung auf „Urlaubsmodus“. Sicher hat es mit den nächsten – etwas kürzeren – Tagesetappen und reizvollen Zielen zu tun. Nur 20 Seemeilen trennen uns von Borgholm, der „Hauptstadt“ Ölands und dem zugleich größten Segelhafen Schwedens. In der Tat kommen wir uns dort mit einem halben Dutzend weiterer Freizeitboote in dem riesigen Hafenbecken etwas verloren vor.

Auch in kleineren Häfen finden wir bis weit in den Juni hinein ähnliche Situationen vor. Denn in Schweden beginnt die Segelsaison erst eine Woche vor Midsommar und sechs Wochen später, maximal acht Wochen, ist die Saison in diesen Breiten schon wieder vorbei. In dieser relativ kurzen Zeit lebt der Schwede umso intensiver. Meist draußen, oft auf dem Wasser. Dieses Verhalten haben wir auch bei unserer Törnplanung mit berücksichtigt. Somit führt unsere Route Ende Juni – antizyklisch – über Stockholm zur Mälaren-Seenplatte. Dann durch den Södertälje- zum Göta-Kanal – der Plan ging auf! Schließlich wollen wir ja nicht stören… Ach, und „gestört“ wurden auch wir fast gar nicht, während der ganzen Tour. Denn auch die Plagegeister, die berühmt-berüchtigten schwedischen Mücken, befanden sich offensichtlich auf anderem Kurs. Unsere Abwehrwaffen Biberfett und Moskitonetz kamen nicht zum Einsatz.

Nein, kontaktscheu sind wir nicht! Doch möchten wir gern wissen oder gar beeinflussen, mit wem wir es zu tun bekommen. So haben wir im Hafen von Borgholm angeregte Konversation mit Bootsnachbarn und Einheimischen. Das liegt wohl auch daran, dass wir an diesem schönen Maitag kurzerhand die Bordküche auf die Kaimauer verlegt haben. Gute Ratschläge bleiben da nicht aus… Erstmals kommen nun die Bordräder ans Tageslicht. Schließlich soll die königliche Sommerresidenz von Silvia und Carl Gustaf aus der Nähe inspiziert werden.

Die FIFTI FIFTI ist uns schon ein wenig ans Herz gewachsen. Nachdem wir sie nun zum dritten Mal getroffen haben, nimmt die Eckernförder Crew Kurs auf Gotland und unser nächstes Ziel heißt Figeholm. Doch zunächst liegen wir noch ein Weilchen vor Ölands Küste, nur wenige Schiffslängen auseinander. Wartend auf Wind wechseln wir kluge Ratschläge von Bord zu Bord und schöne Fotos entstehen außerdem. Schließlich füllt sich der Gennaker und der Wind treibt uns auseinander. 

 

 

 

 


Einige Meilen nördlich der hoch hinausragenden Blå Jungfrun endet der Kalmarsund. Der östliche Schärengarten Schwedens verdichtet sich hier zunehmend. Die letzten Meilen bis tief in die Bucht von Figeholm werden navigatorisch anspruchsvoller. Im Schutz der kleinen Insel Äspö taucht schließlich ein gemütlicher H

afen auf. Eine gut gelaunte Hafenmeisterin empfängt uns mit der ganzen Bandbreite an schwedischer Willkommenskultur. Der Wohlfühlmodus steigt ins Unermessliche. Eine Erkundungstour mit dem Rad verdeutlicht uns nochmal, wie schön es hier ist. 


Eine besondere Neugierde entwickeln wir vor der alten verschlossenen Holztür des Seefahrtmuseums. Unter der dort angegebenen Kontaktnummer erreichen wir zunächst niemanden. Eine Stunde später klingelt das Handy, Anders Berg bietet uns eine Privatführung an. So erfahren wir viel Wissenswertes über diese alte Handelsstadt und die damit verbundenen Bräuche und Hintergründe. Ein Holländer hat sich zu uns gesellt. Er ist Einhand mit seinem Trimaran unterwegs. Dies erzeugt wiederum leuchtende Augen bei Carsten, der in Flensburg sein „Dragonfly“ zurückgelassen hat. Also – von langer Weile keine Spur, trotz schwedischer „Winterzeit“.

Mit der Weiterfahrt am nächsten Tag bekräftigen wir nicht gerade unsere Gastfreundschaft gegenüber Figeholm. Ein paar Tage Aufenthalt und weitere Aufmerksamkeit hätte die ehemalige Hafen- und Handelsmetropole schon verdient. Zigeuner und Segler haben wohl etwas gemeinsam. Zusammen mit dem Holländer zieht es uns, vorbei am Kernkraftwerk Simpevarp, weiter Richtung Norden.

In der elektronischen Seekarte habe ich vorsorglich auf Höhe Kråkelund eine Markierung vorgenommen, um die richtige „Zufahrt“ in den immer dichteren Schärengarten nicht zu verpassen. Trotz überwiegend guter Kennzeichnung der empfohlenen Routen (Tracks), muss man stets auf der Hut sein, nicht von der Fahrrinne abzuweichen. Denn hier lauern viele Flachs links und rechts des Weges. Manchmal sogar – scheinbar – direkt voraus. Doch solange man die eigene Position sicher zuordnen kann, ist alles gut. Bald haben wir uns an stark schwankende Tiefenverhältnisse gewöhnt. Bei besonders flachen und engen Passagen muss halt mal etwas Speed rausgenommen werden. Bei Fahrt unter Motor kann man natürlich schneller reagieren. Doch, soweit irgend möglich, sind auf der CHINTA die Segel oben.

Viele beschauliche, oft auch windgeschützte Naturhäfen bieten gute Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Weg nach Norden. Doch Idö, Sparö, Förö und wie sie alle heißen, passieren wir, weil sie eins nicht haben: einen Bahnhof. Und den benötigt Karsten nun dringend. Denn schon übermorgen muss er sich wieder seiner Projektarbeit an Bord eines Schiffsneubaus widmen. So landen wir schließlich nach Hunderten Fahrwassertonnen in Västervik.

Nach so viel Kopfarbeit sorgen die Bordräder für physischen Ausgleich. Mal schauen, ob der Bahnhof auch wirklich dort ist, wo er sein soll und ob der nächste Supermarkt Waren gegen Bares tauscht. Die gegenüberliegende Halbinsel Gränsö zieht uns dann magisch an. Wir durchqueren eine riesige Golfanlage, bestaunen den gehobenen Wohnkomfort im Speckgürtel Västerviks und kehren schließlich ausgepowert und hungrig zurück an Bord. Als Abschiedsessen gibts „Plaaten in de Pann“ und Getränke a la Carte.

Erstmals, seit Törnbeginn, setzt am heutigen Morgen leichter Regen ein. Bereits um sieben Uhr verlassen wir den schönen Vereinshafen Notholmen, um Karsten nach einer kurzen Passage an der städtischen Pier, unweit vom Bahnhof, abzusetzen. Es folgt ein unspektakulärer Abschied, typisch Mann: Wir herzen uns noch kurz, leicht rustikal, und dann sehen wir nur noch seine Hacken und er unser Kielwasser, sofern er sich denn umdreht.

Ein ausgiebiges Frühstück gibt es für Klaus und mich zwei Stunden später auf der kleinen, nur dünn besiedelten Insel Hasselö. Carsten hat dagegen Großstadtprogramm eingeplant: Vier Stunden Aufenthalt in Kopenhagen. Da fällt sicher auch eine warme Mahlzeit und ein kühles Tuborg in Nyhavn für ihn ab. Hasselö ist ein beliebtes Ausflugziel der Västerviker. Dort verbringen sie gern das Wochenende, so wie wir daheim im benachbarten Sonderborg oder Höruphav. Das Rad sorgt nun täglich für körperliche Fitness und gibt uns zudem viele Einblicke in schwedische Flora und Fauna.

Die Sonne ist längst zurückgekehrt, als wir die langgezogene, fast menschenleere Insel durchkämmen. Die wenigen Häuseransiedlungen erinnern an Bullerbü. Autos sind hier Fehlanzeige. Kleine Quads dienen der Fortbewegung. Auf einer Klippe zum Wasser wurde eine Sauna errichtet. Ein großes Fass mit Blick aufs Meer. Daneben ein kleiner runder, auf 40 Grad beheizter, dampfender Pool. Und außerdem gibt es ja noch das Naturbad mit erfrischenden 10 Grad. Ein Stück schwedische Lebenseinstellung. Ich könnt mich dran gewöhnen…

Ein leerer Kühlschrank bestimmt das nächste Tagesziel. Bis zum Supermarkt in Loftahammar sind es nur fünf Seemeilen – auf dem Luftweg. Doch als wir, bis weit in die Bucht hinein, alle Untiefen und Schären umfahren haben, stehen am Ende 16,2 sm auf der Logge. Kurz vorm Zielhafen mussten wir sogar noch einen scheinbar unüberwindbaren Engpass von gut zwei Meter Wassertiefe meistern.

Der Supermarkt – beim ersten „Anlauf“ sind wir schnurstracks dran vorbei marschiert – entpuppt sich als ein gut ausgebauter Kiosk. In Schweden nennt sich alles „Supermarked“, wo Lebensmittel übern Tresen gehen. Fürs Erste reicht es aber, wir müssen nicht hungern. Doch der Grillabend wird vorerst vertagt. Ach ja, das wöchentliche Großreinschiff ist längst überfällig. Also Reinschiff statt Grillen. Dies verbinde ich auch gern mit einem technischen Kontrollgang durchs Boot. Heute keine besonderen Vorkommnisse. Doch – Klaus hat voller Entsetzen etwas aufgedeckt. Und so lässt er seine durchgescheuerte Jeans, die ihn seit nunmehr 30 Jahren treu begleitet, in diesem Hafen zurück.

Das Flach vor unserem Hafen überqueren wir diesmal mit weniger Adrenalin. Bei schwachem Wind genießen wir das Frühstück unter der Morgensonne auf dem Weg zu unserem nächsten Tagesziel. Gerne folgen wir dem Tipp an Flatvarp, bei Stora Askö, nicht vorbei zu fahren. Bei der Einfahrt in die geschützte Bucht müssen wir wiederum sehr auf der Hut sein und noch mehrere Untiefen umschiffen. Den großzügigen Liegeplatz teilen wir uns mit einem weiteren Segelboot und einem Fischerboot. An Land liegen dagegen, hoch und trocken und winterfest verpackt, noch über 20 Boote. Mir tränen die Augen. So ein tolles Segelrevier, aller bestes Wetter und die Schweden tun so, als wäre gerade Weihnachten gewesen. Ausgiebig kraxeln wir in den zerklüfteten Felsen umher. Von der höchsten Stelle werden wir mit einem genialen Ausblick über den Schärengarten belohnt. Eine Steinwüste bis zum Horizont. Und mittendurch verläuft wirklich unsere Route!?

Ich komme aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. Und dies ist keineswegs übertrieben. So etwas wie Harstena gibt es nur im Bilderbuch, dachte ich bislang. Vorbei an Fyrudden zieht es uns in die Außenschären, wo der Wind auch schon mal kräftiger bläst. In einem schmalen Sund taucht dann dieser malerische Fischerort auf, von dem aus einst auf Robben gejagt wurde. Alleine, ganz alleine liegen wir hier. Und das wird sich an diesem Tag auch nicht ändern. Ein paar Nachbarn hätten wir schon vertragen können, der Atmosphäre wegen. Fast unvorstellbar erscheint mir der Gedanke, hier an Midsommar zu liegen, wenn der Sund mit Booten vollgestopft ist und die Mega-Schären-Party steigt.

Das Bilderbuch schlagen wir wieder zu, verkriechen uns in das innere Schärenrevier und arbeiten uns weiter Richtung Norden vor. Fast unbemerkt passieren wir dabei den östlichen Zugang zum Göta-Kanal. Nach knapp 20 sm erreichen wir den strategischen Stützpunkthafen Arkösund. Und wen sehen wir da – unsere Freunde mit der FIFTI FIFTI. Die Temperatur erreicht an diesem bewölkten Mai-Tag gerade mal 8 Grad. Bei leichtem Nordwest fühlt es sich auf dem Wasser noch kälter an. Wie gut, dass die Sauna im Hafen bereits vorgeheizt ist. Drei Saunagänge verordne ich mir. Welch ein Genuss! Natürlich läuft nun auch die Heizung an Bord. Wollen es am Abend doch muggelig haben.

Was ein guter Schlaf doch so alles bewirkt: Laune und Außentemperatur sind am nächsten Tag wieder gestiegen, die Regenwahrscheinlichkeit leider auch. Frisch betankt motoren wir den Gränsösund weiter aufwärts und bahnen uns den Weg entlang der Küste bis nach Oxelösund. Der Wind bleibt heute aus, die Segel somit unten und der Motor an. Oxelösund ist nicht gerade der Ort, den man sich im schwedischen Schärenparadies erträumt: Intensive Stahlproduktion, aktives Kraftwerk, hohe Kräne, reger Frachtschiffsbetrieb.

Heute stimmt sogar die Wettervorhersage: Mit einsetzendem Regen laufen wir im vorgelagerten Fiskehamn ein. Erstaunlicher Weise ist ausgerechnet dieser Hafen gut gefüllt. Wie wir später erfahren, ist dies eine angesehene Marina mit gutem Service, auch zum Überwintern. Die Restauration hat ebenfalls einen guten Ruf. Auffallend viele Racing-Boote haben hier festgemacht, um in Kürze die Regatta-Saison einzuläuten. Mein besonderes Interesse gilt einer Pogo30 aus Helsinki. Sie wirkt fast so breit wie lang. Na ja, fast. Nachdem der Regen sich verzogen hat, vertreten wir uns die Beine bis zum zwei Kilometer entfernten Ortskern. Ein Supermarkt, der seinem Namen alle Ehre macht, öffnet mir an diesem verregneten Tag die Augen. “ICA Kvantum“ ziert in großen Lettern den Eingangsbereich. Jetzt gibts allenfalls logistische Probleme.

Nur noch zwölf Meilen trennen uns vom vereinbarten Treffpunkt des nächsten Crewwechsels. Schon nach wenigen Meilen verraucht der Dunst der hohen Fabrikschornsteine. Im krassen Gegensatz dazu führt eine schmale, vier sm lange Fahrrinne, eingesäumt von reichhaltiger Flora und Fauna, nach Nyköping. Auffallend viele Wasservögel haben hier ihr Refugium gefunden und begleiten uns ein Stück des Weges. Welch ein Kontrast. Die sich zunehmend deutlicher abzeichnende Silhouette macht uns neugierig auf die Stadt.

Der Gastliegehafen bietet reichlich Platz. Schnell ist Kontakt zu den Nachbarbooten hergestellt. Vor allem Deutsche, Engländer und Holländer liegen hier. Einige auch mehrere Wochen, wie sich herausstellt. Durch die zentrale Lage inmitten des Schärengartens, die Nähe zu Schwedens Metropole Stockholm und die guten Verkehrsanbindungen ist dies ein beliebter Ort für Crewwechsel. Der internationale Flughafen Stavska ist nur 15 Autominuten entfernt. Klaus schwingt sich aufs Rad, um Bahnhof und Reisebüro auszuspähen. Für den Rückweg per Schiene hat er zehn Stunden eingeplant. Für die 600 Meilen auf dem Seeweg waren es zwei unvergessliche Wochen.

Den letzten gemeinsamen Tag kosten wir jedoch noch so richtig aus mit Kultur, Kneipe und gutem Essen. Sommerliches Wetter ist eingekehrt. Plötzlich haben wir 20 Grad und strahlend blauen Himmel. Mediterranes Flair macht sich breit. Straßen und Höfe sind mit Menschentrauben gefüllt. Ich fühle mich angekommen – im Segelparadies. Der lang gestreckte Fjord, über den wir gekommen sind, schlängelt sich als kleines Flüsschen durch den reizvollen, geschichtsträchtigen Ort hindurch und weiter ins Landesinnere. Vor vielen Hundert Jahren haben hier Könige und Herzöge ihre Spuren hinterlassen. Diese Spuren und andere Sehenswürdigkeiten lohnt es sich genauer zu inspizieren. Vor gemütlicher Hafenkulisse lassen wir den Abend und die gemeinsam erlebten Seetage gebührend ausklingen. Bei dem lautstarken Trinklied „Helan går ...“ am Nachbartisch stimmen wir textsicher mit ein.

Und dann bin ich tatsächlich einen Tag und eine Nacht allein auf der CHINTA. Klaus ist auf dem Heimweg und Angelika hat für den nächsten Tag die Bahnfahrt reserviert. Boot und Skipper können also noch ganz gelassen entspannen und auf die Dinge schauen, die der schwedische Sommer für uns bereithält. Wir haben die letzten zwei Wochen schon so viel erlebt und doch geht es eigentlich jetzt erst richtig los, wenn mein „1. Offizier“ an Bord kommt. Auf diese gemeinsame Zeit haben wir uns lange gefreut. Ist es doch das erste Jahr nach meiner aktiven beruflichen Laufbahn. Einen festen Rückkehrtermin gibt es nicht. Welch ein Luxus!

Schweden ist uns schon lange ans Herz gewachsen. Ein Jahr zuvor wurde unsere Vision bei einem Bildungsurlaub in Malente noch mal bestärkt. Geschichte, Kultur und Sprache dieses sympathischen Landes standen dabei im Fokus. Nur, dass die Bahn Probleme macht, das durften wir erst jetzt schmerzlich erfahren. Ganze zwei Stunden später, als geplant, erreicht der Zug Kopenhagen. Der Anschlusszug ist längst weg, und anders als in Deutschland, benötigt man dann eine neue Fahrkarte mit Platzreservierung plus aufwendige Einreisekontrolle. Erst spät abends trifft der Anschlusszug in Norrköping ein, Bus- oder Bahnanbindung ins 60 km entfernte Nyköping ist Fehlanzeige. Und was machen die Schweden? Sie spendieren meiner Herzallerliebsten doch tatsächlich ein Taxi. Hut ab, zumal die Dänen es vermasselt haben. Um Mitternacht gibt es Sekt und die Erkenntnis, dass wir beim Segeln weniger Probleme hatten.

Ausgiebiges Kapitänsfrühstück und Stadtbesichtigung stehen auf dem Programm. Und am Spätnachmittag heißt es „Leinen los“. Es folgt die kleine Einführung in die große Schärenwelt. Zur Eingewöhnung der Crew in die Schärennavigation sind zehn Meilen am ersten Tag völlig ausreichend. Wir landen in Broken und haben die kleine unbewohnte Insel fast für uns allein.

Etwas mutiger geworden, verlassen wir die geschützte Bucht mit langsamer Fahrt durch einen kleinen Seitenarm. Aber auch nur, weil ein Einheimischer es uns vorgemacht hat. „Nordost“ lautet unser Generalkurs an den folgenden Tagen. Um dann, mit hoffentlich gutem Wind, die Ålands anzusteuern. Aber zuvor liegen noch unzählig viele reizvolle Etappenziele auf unserer Route. Mit Törnführer sind wir gut ausgestattet, doch sie erschweren die Auswahl eher noch. Hinzu kommen noch jede Menge Empfehlungen unserer „Salzbuckel“ daheim in Flensburg. Gern nehmen wir auch unterwegs spontan Tipps an. Schnell wird uns klar, bei dem Überangebot von 70.000 Schären können wir nur an der Oberfläche kratzen. Doch ein paar „Juwelen“ wollen wir schon noch gern herauspicken, und wenn es mit der Lupe ist.

Ein Blick auf den Kalender bestätigt, der Mai ist verstrichen. Der heutige Tagestörn, am 1. Juni, gestaltet sich sehr abwechslungsreich. Zunächst recht enges Fahrwasser, dann freie See mit guter Angriffsfläche für den Wind, bevor wir durch den schmalen Sävösund die Inseln Ringsön und Langö passieren. Im weiteren Verlauf wählen wir den inneren Track, durch die Ausläufer des Södertälje-Kanals, um die windreiche Ecke von Landsort zu meiden. Dennoch bekommen wir den kräftigen Ostwind gut zu spüren. Auf dem letzten Stück des 40-Meilen-Tagestörns, nach Nynäshamn, seht zudem eine unangenehme Welle.

Am kleineren der beiden Gastsegelhäfen vertäuen wir die CHINTA. Sie hat heute wieder Gutes geleistet und darf einen Ruhetag einlegen. Wir dagegen gönnen uns keine Ruhe. So viele neue Eindrücke überall. Das Fahrrad ist dabei sehr hilfreich, den Radius zu vergrößern. In der quirligen Kleinstadt spürt man die Nähe zu Stockholm. Stündlich pendeln die Züge hin und her. Vom Fährhafen legen große Schiffe mehrmals täglich nach Gotland, Estland und Lettland ab. Gemütlich schlendern wir an der Flaniermeile entlang, wo sich kleine Restaurants und Kunstgewerbeläden aneinander reihen und finden so auch noch unsere Ruhe.

Mit frischer Kraft setzen wir an diesem herrlichen Tag die Segel. Unser Ziel: Smådalarö. Das klingt schon so melodisch, so freundlich, wie Urlaub, wie … ach was weiß ich. Eben einladend. Doch – heute ist nicht unser Tag! Die Navigation bereitet uns keine Probleme. Überwiegend freies Fahrwasser im Schutz der beiden großen Inseln Utö und Ornö. Die großen Fähren sind bald achteraus. Dann schläft der Wind ein, viel zu früh. Segel runter, Motor an. Vier Stunden später nähern wir uns dem wohlklingenden Tagesziel.

Ich zucke kurz, um eine kleine unbetonnte Einfahrt in die Ankerbucht zu inspizieren, traue mich dann aber doch nicht und nehme lieber eine zusätzliche Meile um die Schäre herum in Kauf. Zu meinem Erstaunen entdecke ich in der Bucht einen längeren Steg, der gut und gerne fünf Booten Platz bietet. Also nichts wie ran und Sonnenschutz aufgebaut, um der Hitze zu entgehen. Wenig später steht der Kaffee auf der Back, ein Hund auf dem Steg und die dazu gehörige Hundehalterin daneben. Freundlich aber unmissverständlich gibt sie uns zu verstehen, das nicht nur der Hund zu ihr gehört, sondern auch dieser wunderschöne Steg. Wir haben uns also auf einem privaten Liegeplatz breit gemacht. Und das geht in Schweden gar nicht. Das Jedermannsrecht ist ja eine schöne Sache, aber auch dort gibt es Regeln. Ja, den Kaffee dürften wir in ihrer Privatsphäre noch trinken, aber dann…

Eine halbe Stunde später und 200 Meter weiter fällt der Anker. Warum nicht gleich so. Zum Baden ist es mir noch zu frisch in dieser Jahreszeit.

So machen wir es uns unter der schwedischen Sonne gemütlich. Bis – ja bis die Sonne durch herannahende Wolken verdeckt wird. So plötzlich wie die Wolken kamen, bläst auch frischer Wind direkt aus der Einfahrtsschneise in die vermeintlich geschützte Bucht. Und – dieses merkwürdige Grummeln ordne ich nicht meinem Magen zu. Der Sonnenschutz mutiert zum Spinnaker. Hier mag ich mir die Nacht nun nicht mehr vorstellen.

Ölzeug an, Motor an, Anker auf. Im Augenwinkel nehme ich noch den verstörten Blick des Hundes war, der erneut in Verteidigungsstellung gegangen ist. Kurz beratschlagen wir über einen geeigneten Fluchtort. Knapp vier sm nördlich, ein nach allen Seiten geschützter Naturhafen. Das ist es! Småängsviken klingt zwar nicht ganz so melodisch, aber den Wetterverhältnissen angepasst. Der Gashebel neigt sich weit nach vorn und erzeugt eine beachtliche Bugwelle. Nun setzt auch starker Regen ein. Das Gewitter bleibt immerhin aus.

Nur noch durch diesen Flaschenhals und dann kann uns keiner mehr... Ein paar Mastspitzen lugen bereits aus der Bucht hervor. Also, so schlecht kann der Ankerplatz nicht sein. Doch, was ist das? Ich traue meinen Augen nicht! Eine Marina mit etwa 200 Liegeplätzen kommt hervorgezaubert, wie Jeannie aus der Flasche. Immerhin schon zur Hälfte gefüllt. Dann müssen wir hier also gar nicht ankern. Gesagt, getan. Und schon sind wir vertäut. Nur komisch, dass der Hafen in unseren Seekarten und Törnführern nicht auftaucht. Kein Hund auf dem Steg und auch sonst ist hier kaum menschliches Leben auszumachen.

Wäre da nicht ein verschmutzter Hafenarbeiter, der mit seinem Arbeitsboot ständig hin und her tuckert. Und was soll ich sagen, ihm gefällt unsere deutsche Flagge nicht. Nur schwer verständlich, aber dennoch deutlich genug, erklärt er uns, dass diese Anlage rein privat sei. Nee, nee! Ich muss sehr ungläubig geguckt haben, denn er wiederholt die gleiche Aussage noch einmal. Und nur für eine Nacht geht auch nicht? 

Im Geiste fällt bei mir schon wieder der Anker, 200 Meter weiter. Wäre da nicht dieser gut gemeinte Rat des Hafenarbeiters. Zwar verstehen wir den Ortsnamen nicht so richtig, doch nur eine Meile weiter kling, ganz versöhnlich. Detektivisch studieren wir unser Kartenmaterial und meinen nun Malmakvarn vernommen zu haben. Das klingt nun aber irgendwie gar nicht mehr wie Urlaub und außerdem sind es drei Meilen und nicht eine. Na gut, da kommt es nun auch nicht mehr drauf an. Die Sonne ist zurückgekehrt, der Wind hat sich verzogen und wir machen es ihm nach.

Eine halbe Stunde später machen wir genau in diesem Hafen fest. Schauen zunächst noch ungläubig nach Hunden, Hafenarbeitern und Verbotsschildern. Fehlanzeige! Er entpuppt sich als einer der schönsten Häfen unserer ganzen Tour. Allein schon wegen dem, mit sehr viel Liebe, künstlerisch gestalteten Toilettenhäuschen.
Ein echter Hingucker
! Wir Grillen mit Genuss und lassen uns den Sundowner bei einem kitschig-schönen Sonnenuntergang so richtig schmecken. Welch ein Tag, welch ein Happyend. Müde und zufrieden in der Koje liegend frage ich mich: „Warum nicht gleich so?“

Auch hier lernen wir interessante Menschen kennen. Zum Beispiel den Belgier, der zusammen mit seiner schwedischen Frau seit fünf Jahren auf seiner Bavaria die belgische Nationale spazieren fährt. Er arbeitet – was man so Arbeit nennt – für eine französische Firma als Vertriebsleiter. Vertriebsgebiet: Schweden. Sein Arbeitsplatz: siehe oben… So gehts! Doch mein Modell gefällt mir auch, so ganz ohne Arbeit.

Weiter gehts Richtung Norden – unter Segel. Das Wetter hat sich auf gutem Niveau stabilisiert. Die Nächte sind, durch die polare Meeresluft, noch saukalt. Das Wasser ebenfalls, mit gerade mal zehn Grad. Wir befinden uns nun auf Höhe von Stockholm. Unsere Route verläuft etwa 20 sm östlich der schwedischen Hauptstadt. Kurz nach Mittag erreichen wir Husarö. Eine Insel, die sich in der Größe gut erwandern lässt. Sofern man sich nicht verläuft… Auf einem Plakat wird das jährliche Schwimmevent „Husarö-runt“ angekündigt. Sechs Kilometer beträgt die gesamte Strecke um die Insel. Da muss die Temperatur aber noch kräftig zulegen. Wassertaxen und kleine Fähren sorgen für reichlich Schwell auf unserem Liegeplatz.

Da ziehen wir gern weiter. Es geht in den Stämmarsund. Schärensegeln vom Feinsten. Viel zu schnell erreichen wir unser Tagesziel. In dem angrenzenden Wanderheim von Blidö herrscht gähnende Leere am heutigen Nationalfeiertag, dem 6. Juni. „Big Mama“ wie wir sie nennen, hält dennoch die Stellung. Fürsorglich hilft sie uns mit Toastbrot aus, da weit und breit kein Bäcker aufzutreiben ist.

Nun ist es nicht mehr weit, bis zu unserem Absprunghafen, zu den Ålands. Dicke Pötte kreuzen unsere Route. Über etwa fünf Meilen teilen wir uns das breite Fahrwasser, es ist vergleichbar mit der Autobahn. Gern nutze ich hier die AIS-Unterstützung, also das automatische Identifikationssystem, das mit Funkgerät und Kartenplotter kommuniziert. So bekomme ich zur Sicherheit alle umliegenden gewerblichen Schiffe auf der elektronischen Seekarte angezeigt, mit Hinweis auf Kollisionskurs. Vorbei an dem großen Fährhafen Kappelskär legen wir noch in Grädda einen Zwischenstopp ein.

Bis zu unserem nördlichsten Punkt in den Ostschären, kurz vor dem 60. Breitengrad, sind es nur noch acht Meilen. Die Zufahrt der geschützten Bucht von Arholma hat es aber in sich. Die letzten zwei Meilen erfordern konzentrierte Navigation. Und die letzten Meter verlangen uns sogar Millimeterarbeit ab. Wir haben Niedrigwasser und wollen dennoch gern längsseits am Südsteg festmachen. Es folgt eine einkalkulierte leichte Grundberührung. Nichts anderes macht der Papst, wenn er auf fremdem Terrain aus dem Flieger steigt. Er küsst den Boden. Voller Ehrfurcht vor diesem schönen Land eifern wir ihm nun also nach.

Es ist auch nicht weiter tragisch, aber schön ist das Geräusch nicht, wenn Stein und Metall zusammentreffen. Toi, toi, toi, in Fahrt ist es uns während des ganzen Törns nie widerfahren. Das wäre bei dem harten Grund auch nicht sehr ratsam. Auf einem vermeintlichen Liegeplatz haben wir, bedingt durch anhaltendes Niedrigwasser, jedoch noch einige Male das zweifelhafte Vergnügen. Nun aber liegen wir mit zehn Zentimeter Wasser unterm Kiel, also eine Handbreit, wie es uns so oft gewünscht wurde, gut vertäut am Ende des Steges.

Die vier km lange Insel Arholma steht komplett unter Naturschutz. Die vielen Wanderwege laden ein, diesen „Abenteuerspielplatz“ zu erkunden. Gleich mehrere Wanderheime zeugen von regem Betrieb in den Sommerferien. Zwei Bauern nutzen die überschaubaren landwirtschaftlichen Flächen. Der Weg zur anderen Seite der Insel ist kurz. Dort gibt es einen weiteren kleinen Hafen mit Kiosk und Gastronomie. Mitten im dichten Nadelwald stoßen wir auf einen ehemaligen Friedhof. Ein kleines verwittertes Schild verweist auf die Stiftung „Minneslund“. Die schmalen Pfade führen ins Nichts. Prompt verlaufen wir uns. Oh, oh....

Einen tollen Überblick verschaffen wir uns an der Nordspitze, ganz oben von der Bake, die den Seefahrern schon seit 250 Jahren den sicheren Weg ins Schärenlabyrinth weist. Die Sicht ist gut, doch bis zu den Ålands reicht es dann doch nicht. Eine tolle Insel, irgendwie besonders. Man muss sie erleben bzw. erwandern. Das I-Tüpfelchen ist die kleine Sauna, gleich neben den beiden Plumpsklos, ganz in unserer Nähe. Eine drollig verfasste „Gebrauchsanweisung“, nebst prall gefülltem Gästebuch, deuten auf regen Zuspruch hin. Das Anheizen mit Holzscheiten ist selbst vorzunehmen. Im Anschluss muss so viel Holz gehackt werden, wie verbraucht wurde. So einfach kann das Leben sein.