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Stockholm

Es kann nur auf eine Liebeserklärung hinauslaufen. Denn Stockholm ist in meinen Augen eine der schönsten Großstädte Europas. Wenn nicht sogar... Und zu den inneren Werten kommen wir noch. Es mag wohl auch die Nähe der schwedischen Metropole zum Wasser sein. Denn die 800.000 glücklichen Schweden – mit „Speckgürtel“ sind es 2 Millionen – leben alle unweit vom oder sogar direkt am Wasser. Bei jeder Gelegenheit schwärmen sie mal eben mit dem Boot in ihren „Vorgarten“ zu einer der 24.000 Schären aus. So variiert die Zahl ein wenig... Die Stadt selbst ist auf 14 Inseln verteilt.

Noch aber sind wir dort nicht angekommen. Von den Ålands kommend machen wir zunächst einen Zwischenstopp, direkt am Hauptfahrwasser, in Furusund. Und da ist denn auch so richtig was los. Bis in den Abend hinein zählen wir zehn große Fähren und Kreuzfahrtschiffe, die vor unserer Nase gemächlich den Sund passieren. Der Schwell im Hafen bleibt erstaunlicher Weise aus. Die gepfefferte Hafengebühr sagt uns, wir sind in der Hauptsaison angekommen.

Beim abendlichen Rundgang erhaschen wir einen Rückblick, fast bis in die Steinzeit. So staunen wir über eine 500 Jahre alte, in Stein gemeißelte Kompass-Variante. Oben auf der Bergkuppe, neben dem beschaulichen Sommerhaus von Astrid Lindgren und der 250 Jahre alten Windmühle steht ein fast genauso alter Telegraf, mit dem damals Informationen optisch weitergereicht wurden. In „nur“ sieben Minuten wussten die Stockholmer, was hier draußen im Sund los ist. Aha – die Vorläufer also von Webcam, Whatsapp und Co.

Der Hafen ist international besetzt. Haben interessante Gespräche mit einem Holländer, der seine Hunde Gassi führt, mit einem Schweden, dessen Katze offensichtlich entlaufen ist und einer Dänin, die einen Waschtag auf ihrer Nauticat eingelegt hat. Dort hängt so viel Wäsche, dass ich neugierig nachhaken muss, ob sie etwa eine Waschmaschine an Bord hat. Ja, sie hat – unglaublich! Neben uns eine schwedische Charter-Yacht mit finnischer Flagge und deutschem Skipper. Eine Waschmaschine hat er zwar nicht an Bord, aber abenteuerliche Episoden waren von ihm zu erfahren. Sie kommen geraten von einer alten Festung, unweit von hier. An diesem Geheimtipp sollten wir auf keinen Fall vorbei fahren.

Tatsächlich steuern wir dann auch am nächsten Tag die kleine Insel mit der Festung an. Doch der Versuch dort anzulegen geht kräftig in die Hose. Bei dem frischen auflandigen Wind aus Südwest ist mir von vornherein schon etwas mulmig. Die Muringtonnen für die Achterleine sind extrem weit vom Steg entfernt. Selbst unsere extralange Festmacherleine ist noch etwas zu kurz. In der Eile verlängere ich sie kurzerhand. Das Wasser zum Steg hin wird schnell flach und obendrein garnieren große Steine jeden zweiten Liegeplatz. Wir treiben quer auf eines der beiden Boote zu. Das kann jetzt nur noch daneben gehen. Die Augen des Eigners scheinen ihm aus dem Gesicht zu springen. Spontan breche ich die Aktion ab. Hei-jei-jei, das war knapp. Es hätte auch anders ausgehen können. Einen weiteren Versuch ersparen wir uns. Mit erhöhter Pulsfrequenz sortieren wir die Leinen, werfen noch einen prüfenden Blick zurück und machen uns auf die Suche nach einem besseren Platz.

In Linanäs werden wir fündig. Windgeschützt mit Kaufmann, Tankstelle und Restauration – alles direkt auf der breiten Kaimauer. Aber ohne Festung und Kanonen. Man kann nicht alles haben…

Es ist Donnerstag, der 23. Juni, einen Tag vor dem Midsommar-Wochende. Das drei Tage andauernde Volksfest der Schweden wollen wir uns nicht entgehen lassen. Nur Zuschauen reicht uns nicht. Nein, wir wollen dabei sein. Und zwar mittendrin – und mitfeiern. Und dafür erscheint das kleine quirlige Städtchen Vaxholm genau das Richtige zu sein. Denn auch ohne Feierlichkeiten spürt man dort, unweit von Stockholm, von morgens bis abends das pralle Leben.

Schon als wir uns annähern, kommen Boote von allen Seiten. Eine Seilzugfähre mittendrin. Auch im Sportboothafen herrscht Hochbetrieb. Die einen wollen rein, die anderen raus. Nur nichts überstürzen. Platz scheint hier genug zu sein. Doch das Wasser beruhigt sich überhaupt nicht. Ein Hafen mit Waschmaschineneffekt. Doch etwas zu quirlig hier? Wir nehmen es billigend in Kauf. Haben es ja so oder so ähnlich gewollt.

Hier ist der Dreh- und Angelpunkt aller Gastfahrtschiffe und Fähren. Und dazwischen jede Menge Wassertaxen. Vorfahrtsregeln scheinen außer Kraft gesetzt. Ein Wunder, dass es ganz ohne Havarien ausgeht. Ich sehe jedenfalls keine.

An Land geht es gemächlicher zu. Viele kleine Gassen mit niedlichen Holzhäusern, Läden und Restaurationen durchziehen die überschaubare Insel. Und nun kommen wir doch noch zu unserer Festung. Hier in Vaxholm wurde bereits im 16. Jahrhundert, zur Sicherung des Seeweges nach Stockholm, ein gewaltiges Bauwerk errichtet. Ganz oben, vom Burgturm, genießen wir einen fantastischen Ausblick über den Stockholmer Schärengarten.

Die Vorbereitungen für das große Fest am Wochenende sind überall spürbar. Alle Schiffe sind nun mit Birkengrün geschmückt. Die Kinder bereiten eifrig ihren Kopfschmuck vor. Getränke werden kistenweise gebunkert. In den Spirituosengeschäften, den „Systembolagete“, herrscht Hochbetrieb. Auch gutes Wetter ist vorausgesagt. An den Gastfahrtschiffen bilden sich lange Schlangen. Viele Schweden fahren mit Sack und Pack und ein paar Paletten Bier hinaus auf die Schären, um dort mit Freunden zu feiern.

Gegen Mittag machen wir uns auf zum Park. Auf der großen Festwiese sind wir in guter Gesellschaft. Wie die Schweden, sind auch wir mit Decke, gut gefülltem Picknickkorb und natürlich ausreichend Getränken ausgestattet. Wer weiß, vielleicht kommen noch Gäste auf unsere Decke? Die hübschen blonden Schwedinnen haben ihr Haupt mit Blumenkränzen geschmückt. Tausende gut gelaunte Menschen haben sich versammelt, als um 15 Uhr hoch offiziell die geschmückte Midsommarstång aufgerichtet wird und die Musik aus den Lautsprechern erklingt. Diverse Tanzrituale folgen. Wir reihen uns mit ein und versuchen der skandinavischen Tradition zu folgen. In der Mitte des Geschehens die Majstång. Ähnlich wie in unserer Region der Maibaum. Natürlich größer, schöner und überhaupt… irgendwie ganz anders. Alles verläuft feucht- fröhlich-friedlich. Zum Abend hin verteilt sich die große Festgemeinde in kleinere Gruppierungen. Am nächsten Tag gehts weiter. Teils mit, teils ohne Pause. Mich erinnert es an Karneval in Düsseldorf. Nur den Umzug und die Kamelle gibts hier nicht.

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Nach dem Trubel zieht es uns noch nicht in die Großstadt. In dem beschaulichen Hafen von Bosön gönnen wir uns eine kurze Ruhephase. Das liegt am Ende einer bewaldeten Bucht der Insel Lidingö. Hier gibt es nur sechs Liegeplätze für Gäste. Ein Platz ist gerade noch frei. Erstaunlich, alle Nachbarboote tragen die deutsche Flagge. Offensichtlich ein Geheimtipp. Schließlich hatten auch wir den Hinweis von Flensburger Freunden.

Später werde ich von einem Schweden angesprochen, ob wir aus Flensburg kommen. Verdutzt schaue ich ihn an. Nein, er hat es nicht am Schiffsrumpf abgelesen. „Flensburger kommen häufig und gern hier her“, erwidert er mir. Einige liegen hier auch mehrere Tage oder gar Wochen und nutzten die gute Anbindung in die City. Zur nächsten Bushaltestelle sind es nur zehn Minuten zu Fuß.

Bei uns ist wieder innere Ruhe eingekehrt, nun sind wir bereit für die Großstadt. Navishamnen, auf der grünen Insel Djurgården gelegen, ist schnell erreicht. Von dort noch zehn Minuten mit der Straßenbahn und wir stehen im Zentrum von Stockholm. Doch schön der Reihe nach. So eilig haben wir es nun auch wieder nicht. Haben eine ganze Woche für diese schöne Stadt eingeplant. Und, wir haben weiß Gott nicht vor, eine Sehenswürdigkeit nach der anderen abzuhaken. Bei dem kulturellen Überangebot müssen wir eh eine kleine Auswahl treffen.

Stockholm ist eine Fahrradstadt und das kosten wir an den ersten beiden Tage schon so richtig aus. Für wenig Geld holen wir uns im Kulturhaus eine Wochenkarte, mit der wir alle Verkehrsmittel einschließlich der Linienschiffe benutzen können. Freundliche Auskünfte und reichlich Informationsmaterial gibt es gratis obendrauf.

Hier nun – in Stichworten – was uns besonders gut in Erinnerung geblieben ist:

  • Djurgården; der grüne Teil Stockholms mit endlos vielen Rad- und Wanderwegen
  • Gamla Stan; Altstadt mit kleinen verwinkelten Gassen und ganz viel Charme (aber nur, solange keine Kreuzfahrtschiffe da sind)
  • Vasa-Museum; nicht nur drinnen interessant
  • Fjällgatan; atemberaubender Ausblick über Stadt und Hafen
  • Königliches Schloss; mit 600 Zimmern (!) das größte weltweit
  • Tyska kyrkan; deutsche Kirche aus dem 17. Jahrhundert
  • Riddarholmskyrkan; sehr schönes altes Bauwerk (1280)
  • Bootsfahrten; die etwas andere Perspektive
  • Saltsjöbaden; Ausflug in einen exklusiven Badeort
  • Sergels Torg / Drottningsgatan; belebte Shoppingmeile

Gerne überlassen wir den Tagesverlauf auch schon mal dem Zufall. Vor allem, wenn wir mit dem Rad unterwegs sind, bleibt der Blick schon mal ganz spontan an der nächsten Ecke kleben:

  • Norr Mälarstrand; viele bunte Hausboote
  • Södermalm; Kneipen mit Atmosphäre
  • Östermalm; kleine Bäckerei, köstlich, auch selbstgemachtes Knäckebrot
  • Dalagatan 46; hier lebte Astrid Lindgren (heute Museum)
  • Waldemarsudde; herrlicher Park mit alter Villa
  • Strandvägen; prachtvolle teure Villen
  • Beckholmen und Kastellholmen; so war es früher
  • Skeppsholmen; Startvorbereitungen zur Gotland-Runt-Regatta
  • Nautiska Magasinet; alles fürs Seglerherz
  • Diverse Outdoor-Veranstaltungen

Und dann gibt es da noch ein paar Dinge, die wir uns für den nächsten Besuch aufgespart haben:

  • Skansen; älteste Freilichtmuseum der Welt
  • U-Bahn; künstlerisch gestaltete Bahnhöfe
  • Rathausdach; Stadtbesichtigung über den Dächern von Stockholm
  • Östermalms Saluhall; alte Markthalle
  • Kneipen und Cafès, in denen wir nicht waren

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Schweden gefällt uns nicht nur wegen der einmalig schönen Natur und der paradiesischen Segelmöglichkeiten. Nein, die Menschen dort sind es, die das Land so sympathisch machen. Und gerade hier, in Stockholm, wurde es uns immer wieder ins Bewusstsein gerufen. Freundlich und stets hilfs- und auskunftsbereit. Das respektvolle Verhalten unter- bzw. miteinander hat mich außerdem sehr beeindruckt. Der Leitgedanke der Schweden: „Du sollst nicht glauben, dass du besser bist als die anderen“. Der Schwächere hat hier stets Vorrang. Dies spürt man besonders im Straßenverkehr, vor allem, wenn man mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs ist. Einen Zebrastreifen kann man getrost überqueren, solange das Auto ein schwedisches Kennzeichen hat. Und das Wort „drängeln“ existiert gar nicht im schwedischen Vokabular. Ob die Schweden vor 50 Jahren auch so entspannt waren, als von Links- auf Rechtsverkehr umgestellt wurde?

Während unseres Besuchs kommen wir noch in den Genuss einer Triathlon-Veranstaltung, mitten in der Stadt. Die vielen Absperrungen stört niemand. Die tolle Atmosphäre wird dagegen von vielen Schaulustigen mitgetragen. Schnell ist man im Gespräch mit wildfremden Menschen. Über 80 Prozent der Schweden sprechen englisch. Zunächst aber kommt immer ein saloppes „Hej“ über die Lippen. So, wie bei uns kurz und knapp „Moin“. Die anderen Grußformeln, die wir noch vom Seminar in Malente kennen, sind wohl nicht alltagstauglich: „Hejsan, Tjena, Goddag“ u. ä. ist wohl zu lang... Ein bisschen mehr Zeit sollte man jedoch beim Verabschieden einplanen: „Hej då”. Häufig gibts auch Alltagssituationen, um „Danke“ (tack se mycket) und „Bitte“ (var så god) anzuwenden. Ein Dutzend Höflichkeitsformeln in der Landessprache bieten sich als „Türöffner“ an. Und schon ist der Bann gebrochen.

Bei herrlichem Kaiserwetter kommen wir auch noch in den Genuss einer Hochzeit im Freien und freuen uns mit dem jungen Glück. Wenn es denn mal richtig laut wird, in der ansonsten beschaulichen Großstadt, sind es meist die jauchzenden Gäste des Gröna Lunds Tivoli. Doch da machen wir stets einen großen Bogen rum. Sehr gefreut habe ich mich noch, dass ich im Vasahamnen unsere leere Gasflasche tauschen konnte. Denn das ist in ganz Schweden gar nicht so einfach.

Erstaulicher Weise bleibt diesmal das Großstadtsyndrom bei mir aus. Ich verspüre keinerlei Fluchtgedanken. Außerdem erwarten wir noch Besuch. Und deshalb verlegen wir die CHINTA schon mal für zwei weitere Tage in den Västerbrohamn. Unser erster salzfreier Hafen. So haben wir die Schleusen- und Brückenpassage zum Mälaren schon mal hinter uns und sehen zudem die Stadt aus einer anderen Perspektive.

Von Düsseldorf ist es nur gut eine Stunde Flugzeit nach Stockholm. Und vom internationalen Flughafen in Arlanda fahren ständig Shuttlebusse in die Stadt. Direkt vor unserem Hafen lesen wir Ingrid auf der Parkbank auf und freuen uns auf zwei gemeinsame Wochen. Doch bevor es hinaus auf die Seenplatte geht, scheuche ich den Neuankömmling noch kreuz und quer durch Stockholm. So lernt auch sie, wenn auch nur im Schnelldurchgang, die schönsten Ecken der Stadt und alle Verkehrsmittel kennen. Schweden ohne Stockholm geht nun mal nicht!

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