Die Ålands
Für den gesamten Törn – einen Sommer lang in Schweden – wären vor ein paar Jahren wohl sechs „normale“ Urlaube draufgegangen. Und in solch kleine Häppchen haben wir ihn gedanklich auch aufgeteilt:
- Ostschären (wie beschrieben)
- Ålands (da soll es jetzt hingehen)
- Stockholm (mit „Vorgarten“)
- Mälaren (Zur Abwechslung mal Süßwasser)
- Göta- und Trollhättan-Kanal (Das blaue Band)
- Kattegat (bekanntes Terrain)
Damit erst gar keine Missverständnisse aufkommen, die Ålands gehören nicht zu Schweden. Sie unterliegen der finnischen Verwaltung, sind ansonsten aber autark. Selbstverständlich verfügen sie somit über eine eigene Flagge. Es ist die schönste, die die CHINTA je schmückte. Doch bis wir sie hissen dürfen, vergehen noch ein paar Meilen. Arholma ist ein idealer Absprunghafen. Mit 3 – 4 Windstärken aus Nord herrschen beste Wetterbedingungen. Bereits um kurz nach Sieben verlassen wir unsere geschützte Bucht. Eine halbe Stunde später liegen die letzten kleinen Schären im Kielwasser. Wir haben das offene Meer erreicht. Die vielbefahrene Fährlinie verläuft ein paar Meilen weiter südlich. Die Segel stehen gut, wir genehmigen uns den zweiten Muck Kaffee.
Nach 20 Meilen, weit an Steuerbord liegend, taucht die kleine Schärengruppe von Långskär auf. Durchs Fernglas erkenne ich den hohen Funkmast sowie einige Aufbauten. Auf dem Plotter zoome ich es etwas näher heran und entdecke sogar eine Möglichkeit zum Anlanden. Doch wir bleiben schön auf Kurs, bei 66°. Und auch dort tut sich schon bald etwas auf. Große Windräder voraus. Nun dürfen wir: Die Gastlandflagge wird gehisst. Farbenfroh strahlt sie auf halber höher vom Steuerbordwant herunter. Eine Vorfreude auf dies unbekannte Land ist unverkennbar. Eine Stunde später passieren wir die ersten kleinen Schären des Archipels, hier oben in der Ostsee, zwischen Schweden und Finnland. Nun treffen wir direkt auf die Fährroute, die mitten durch die Schären führt. Mit ausreichend Abstand kreuzen gleich zwei Fähren unseren Weg. Auch hier finden wir eine vorbildliche Betonnung des Fahrwassers vor. Eine halbe Meile vorm Ziel drehen wir ab in flacheres Gewässer. Im Schutze einer Insel bergen wir die Segel.
Bei strahlend blauem Himmel machen wir am langen Steg in Rödhamn fest. Spärliche Vegetation müht sich zwischen den großen, runden, walfischähnlichen Felsen ans Tageslicht. In der Hochsaison ist es schwierig hier einen Platz zu ergattern. Heute sind wir zunächst die Einzigen. Wahnsinn. Am Abend gesellen sich ein Traditionssegler und zwei kleinere Segelboote zu uns. Am Bootshaus werden Motorjets für die bevorstehende Saison aus dem Winterschlaf geholt. Strom auf der Insel ist Fehlanzeige. Was es hier gibt, ist überschaubar und schnell erreichbar.
Gleich um die Ecke: Zwei Plumpsklos mit Partybeleuchtung sowie eine Outdoor-Waschgelegenheit. Oben, auf dem Felsen, ein kleines altes Lotsenhäuschen. 500 Meter weiter ein größeres, eingerichtet als Museum. Beim weiteren Rundgang stoßen wir auf ein bescheiden eingerichtetes Wanderheim und eine Sauna mit beträchtlichen Holzvorräten. Und das Beste zum Schluss: Annettes Cafe‘. Es genießt über die Grenzen hinaus einen guten Ruf. Urgemütlich ist es dort, und alles selbstgemacht. Von ihrer leckeren Schokoladentorte hatten wir schon vor einigen Jahren auf Bornholm gehört. Hhmmm… natürlich probieren wir uns durch ihre kleine Speisekarte. Ihr Mann sorgt für das Grobe drum herum, hält alles instand und betreibt einen kleinen Bootsverleih. Eine Insel zum Träumen und Wohlfühlen.
Mehr braucht man (Mann) nicht, wenn denn die Atmosphäre stimmt. Eine rustikale Einstimmung auf die folgenden zwei Wochen. Den krassen Gegensatz dazu erleben wir in der Hauptstadt der Ålands. Durch gut betonntes Fahrwasser sind wir schon nach zwei Stunden Fahrzeit in Mariehamn. Der gut ausgebaute Osthafen bietet uns Quartier, von hier können wir unseren Törn, durch das innere Schärenarchipel, gut fortzusetzen. Die 11.000-Einwohner-Stadt ist in der Segler- und Kreuzfahrerszene ein fester Begriff. In Mariehamn laufen alle Fäden der 20.000 Åland-Schären zusammen. Eine rege Geschäftswelt mit moderner Verwaltung prägt das Stadtbild. Und – es wird schwedisch gesprochen.
Täglich wird der Westhafen, an der anderen Seite der Stadt, von zahlreichen Fähr- und Kreuzfahrtschiffen angesteuert. Hier pulsiert das Leben. Mittendrin die alte Vier-Mast-Bark POMMERN, im Originalzustand. Sie zeugt von der Seefahrt vergangener Tage. So auch der Historische Hafen mit Museum, bei uns, gleich um die Ecke. Per Pedes und Rad ist hier alles gut erreichbar. Von einer Bank, weit oberhalb der Stadt, genießen wir den schönen Ausblick und beobachten das Einlaufen der ALBATROSS, ein hübsches Kreuzfahrtschiff der Premiumklasse. Hier könnten wir es bis zum Sonnenuntergang aushalten.
Bevor es weiter geht, füllen wir den Dieseltank vorsorglich ein zweites Mal auf. Man weiß ja nie, wo man landet. Doch schon wegen der vielen Motorboote findet man in Schweden und auch hier, mitten in der Ostsee, ein recht enges Tankstellennetz vor. Auch Absauganlagen für Fäkalien und Grauwasser sind in den meisten Häfen und sogar in jeder größeren Ankerbucht vorhanden. Seit 2015 gibt es in Schweden und Finnland einen neuen Umweltkatalog mit diversen verpflichtenden Maßnahmen und Verboten. So, unter anderem, das Ableiten von Fäkalien ins Meer.
Die Finnischen Seekarten sind so ganz anders als unsere, sie weichen stark von der gewohnten Norm ab. Allein schon die farbliche Darstellung, Gelb und Grün dominieren. Dies findet nicht meinen Zuspruch. Dennoch setze ich mich widerwillig mit dem fremden Kartenmaterial auseinander. Wie gut, dass meine Elektronik auch dieses Seegebiet in gewohnter Form darstellt. Viele reizvolle Plätze gibt es hier, die es wert sind, dort anzulanden. Doch auch hier werden wir uns mit einer kleinen Auswahl begnügen müssen.
Durch enges Fahrwasser erreichen wir schon bald den Lemström-Kanal. Die Drehbrücke öffnet stündlich. Sie bahnt uns den Weg über den Lumparn, Richtung Nordost. Hier können wir prima segeln. Und dann wird es, die letzten drei Meilen, noch mal richtig eng und teilweise auch sehr flach. Das verzwickte Fahrwasser erinnert mich an die Schlei, die Vegetation der Ufer an den Schwarzwald. Wohlbehalten kommen wir am Ende des Fjords in Kastelholm an.
Einmal mehr fühle ich mich ins Paradies befördert. Schon die letzten Meilen waren ein Hochgenuss. Obwohl der Hafen offiziell noch nicht geöffnet hat, thront „Big Mama“, wie wir sie auf Grund äußerer Merkmale nennen, bräsig in ihrem Gartenstuhl vor dem ochsenblut-roten Hafengebäude. Sie strahlt mit der Sonne um die Wette und empfiehlt uns einen besseren Platz mit dem Heck zum Schloss. Gern folgen wir ihrem Rat. Lediglich für Strom und Wasser knöpft sie uns fünf Euro ab. Der Liegeplatz sei kostenlos, da die Saison noch nicht begonnen hat. Na denn...
So genießen auch wir vom Cockpit aus das schöne Wetter, den fantastischen Ausblick auf den gegenüberliegenden Golfplatz, auf die Schlossruine von 1380 sowie das angrenzende Freiluftmuseum. Bei der tollen „Fototapete“ könnten wir eigentlich auch zwei Tage an Bord bleiben. Doch die Neugierde lässt uns nicht rasten. Schloss und Museum sind ein absolutes Muss. Wir werden nicht enttäuscht. Auch der fünf Kilometer lange 18-Loch-Park fordert uns heraus. Jedoch begnügen wir uns mit einer Walkingrunde – ohne Schläger. Den Abend verbringen wir auf dem liebevoll hergerichteten Grillplatz mit Kräuter-Hochbeet zur Selbstbedienung.
Hinter den Hügeln vermute ich mehr und schwinge mich so am nächsten Tag aufs Rad. Entdecke nach dem Überqueren einer langgezogenen hohen Brücke, im Färjsundet, einen weiteren beschaulichen Hafen. Ganz in der Nähe besteige ich einen Aussichtsturm und genieße dieses herrliche Panorama, eine Mischung aus Wald und Wasser.
In dem fast leeren Hafen hat ein weiteres Boot direkt neben uns festgemacht. Schnell kommen wir mit den Finnen aus Turku in Kontakt. Im Gegensatz zu uns, kommen sie jedes Jahr hierher. Die vier graumelierten Herren segeln nicht nur, noch lieber spielen sie Golf. Die Konversation mit ihnen ist amüsant und auch ganz interessant. Ihr jährlicher Ausflug basiert auf eine langjährige Männerfreundschaft, ist von Tradition geprägt und hat immer das gleiche Ritual:
- Frauen (bleiben zu Hause)
- Rotwein (darf niemals zur Neige gehen)
- Diskutieren (über alte Zeiten, immer die gleichen Themen; alle waren in derselben Firma)
- Golf (drei Tage lang)
- Zusatzprogramm (nur in diesem Jahr: Fußball-EM, mit viel Diskussionsstoff und Rotwein)
In der zweiten Halbzeit wurde es dann auch richtig laut an Bord der sportbegeisterten 70-Plus-Clique. Und dennoch, sehr sympathisch, diese Finnen. Eine echte Männerfreundschaft ist eben durch nichts zu ersetzen.
Vorsichtig tasten wir uns mit Unterstützung der großen Genua aus dem verwinkelten Seitenarm heraus. Zurück im Lumparnsee, erhalten wir durch das Groß zusätzlichen Vortrieb. Vor der Insel Segleskär lassen wir die Plünnen fallen, um anzulanden. Doch zu unserem großen Erstaunen ist weit und breit keine Schwimmbrücke auszumachen, wie im Handbuch beschrieben. Und zum Ankern erscheint es uns nicht ausreichend geschützt. Also legen wir nach kurzer Beratung bei den guten Segelbedingungen noch mal 15 Meilen oben drauf. Und so erreichen wir zur Kaffeezeit den nördlichsten und zugleich östlichsten Punkt unserer Reise:
Die Koordinaten 60°26‘N und 020°74‘E sind dem kleinen Hafen Remmarhamn auf der Insel Kumlinge zuzuordnen. Ein schöner Segeltag endet schließlich im Regen. Wie schön, auch hier mal wieder eine Sauna vorzufinden. Das Anheizen übernehmen, nach kurzer Absprache, unsere holländischen Stegnachbarn. Schnell ist das Vier-Quadrat-Meter-Häuschen muggelich warm und wenig später auch gut gefüllt. Erstmals traue ich mich, zwischen den Saunagängen, in die nur 12 Grad kalte Ostsee.
Auf der kleinen angrenzenden Nachbarinsel, zu der eine schmale Brücke führt, soll es Rentiere geben. Mutig macht Angelika sich auf die Pirsch, doch leider vergebens. Oder Gott sei Dank? Zusammen machen wir uns auf den Weg ins naheliegende Kumlinge-By. Daraus entwickelt sich jedoch ein ausgewachsener Orientierungsmarsch. Da wir die Landstraße mit den Autos nicht teilen wollen, folgen wir lieber den gelb-blauen Markierungen über das Felsplateau. Das beginnt ganz harmlos, entpuppt sich aber zunehmend zu einer Schnitzeljagt. Etwa alle Hundert Meter taucht eine Markierung auf den moosbewachsenen nassen Steinen auf.
Dann weisen Gelb und Blau plötzlich in unterschiedliche Richtungen. Spontan entscheiden wir uns für die scheinbar kürzere Route. Wenig später enden die Felsen, weiter gehts im kniehohen Gras – ohne Markierungen. Leider ist es noch klatschnass vom Regen der letzten Nacht. Und die Route kann man jetzt nur noch erahnen. Auch hier hat die Saison wohl noch nicht begonnen. Geschlagene zwei Stunden später treffen wir dann tatsächlich auf eine befestigte Straße und müssen uns völlig orientierungslos für links oder rechts entscheiden. 20 Minuten später stehen wir tatsächlich und wahrhaftig vor dem Dorf-Laden in Kumlinge-By. Mit völlig durchnässter Hose, zumindest bis zum Knie. Zur Belohnung bzw. Wiederbelebung muss nun dringend ein Cappuccino her. Für den Rückweg wählen wir die Straße.
Auf dem Wasser kommen wir mit der Orientierung besser klar. Bei sehr diesigen Sichtverhältnissen legen wir ab und erreichen schon bald den Hauptschifffahrtsweg, der die Ålands durchquert. Vorsorglich habe ich mir eine Kopie mit den Fahrzeiten der Schnellfähren Stockholm – Turku gefertigt. Natürlich ist bei diesen Bedingungen auch unterstützend das AIS im Einsatz. So erreichen wir ohne größere Zwischenfälle schon bald Seglinge. Am Steg stehen Fahrräder, die wir für eine kleine Rundfahrt gern in Anspruch nehmen. Noch einen abschließenden Kaffee und dann sind auch schon wieder die Segel gesetzt. Es hat aufgeklart, die Sicht ist nun ganz gut. Bis nach Degerby benötigen wir noch vier Stunden. Kleine und große Fähren kreuzen mit erstaunlich hoher Geschwindigkeit des Öfteren unseren Weg. Als gebe es kein Morgen.
Selbst am Liegeplatz müssen wir weiterhin im Stundentakt die Fähren dulden. Sie sorgen stets für mächtig Schwell. Wie gut, dass sie nachts nicht fahren. Zudem wurde im Wetterbericht reichlich Wind aus Nordwest prophezeit. Unter diesen Rahmenbedingungen gefällt mir unser nach Westen hin offener Liegeplatz überhaupt nicht. Zu flach, zu offen, Wind direkt aufs Heck, Steine in Legerwall – blöder Hafen! Mehrfach legen wir die CHINTA um. Und dann ist die Nacht doch ruhiger als erwartet.
Mit einem ausgiebigen Spaziergang durch den angrenzenden Wald läuten wir den nächsten Tag ein. Wie röhrt eigentlich ein Ren? Oder was hören wir da gerade? Ein Hund ist es jedenfalls nicht. Kühe oder Pferde auf der Weide? Fehlanzeige! Verdutzt und leicht verunsichert setzen wir den Weg durch das menschenleere Terrain fort. Ganz in der Beschützerrolle schaue ich mich immer wieder um. Na denn eben nicht…
Zurück am Hafen, kommen wir mit einem älteren Ehepaar aus dem Bayrischen Wald ins Gespräch. Seit 15 Jahren verbringen sie nunmehr den Sommer auf den Ålands und in den finnischen Schären. Aus ihren Augen sprüht pure Begeisterung. Ein geeignetes Winterlager für ihre Monsun haben sie in Mariehamn gefunden. Sechs Jahre zuvor war ihr schöner 40-jähriger Holzkreuzer mit 160 weiteren Booten (!) einem verheerenden Brand zum Opfer gefallen. Aufgeben gibts nicht, sagt der fidele 80-Jährige und verweist lachend auf die nächsten Jahre. Abschließend nehmen wir noch dankend ihren Tipp bezüglich einer besonders schönen Ankerbucht an.
Eine Stunde später setzen wir dies in die Tat um. Mit dem unruhigen Hafen hatten wir uns ja eh nicht angefreundet. Glücklich und zufrieden, wie das ältere Rentnerpaar, bereiten wir, in der rundum geschützten Ankerbucht von Möholm, unseren Nachmittagskaffee zu. Den Kuchen haben wir noch vorsorglich beim Kaufmann besorgt. Denn hier ist es schlecht mit Einkaufen. Doch die Natur bietet uns alles, was wir brauchen. Gern verweilen wir hier noch einen weiteren Tag. Nur schade, dass die Badetemperatur noch immer zu wünschen übrig lässt. So vergnüge ich mich, ganz das Kind im Manne, mit dem Schlauchboot und erkunde die umliegenden Schären. Lesen und dösen runden das Programm ab.
Die Uhr wird eine Stunde zurückgestellt, denn heute gehts wieder in schwedische Gewässer. Die Windverhältnisse sind ähnlich gut, wie bei der Hinfahrt. Drei bis vier Windstärken, diesmal aus Süd. Doch es dauert noch gut zwei Stunden, bis die letzten kleinen Schären achteraus liegen. Mit Kurs 244° peilen wir das Leuchtfeuer von Söderarm an und machen, vorbei an Kappelskär, in Furusund fest. Die zwei Wochen auf den Ålands bleiben in bester Erinnerung.
Eigentlich müsste man noch in den finnischen Schärengürtel eintauchen, wenn man schon mal hier oben, in der Ostsee, ist. Von den Ålands verlaufen die Schären quasi ineinander über. Bis nach Turku ist es dann nur noch ein Tagestörn. Doch, trotz zeitlicher Luxusvariante, müssen wir ab und an Abstriche machen bzw. Prioritäten setzen. Auch die schwedische "Höga Kusten" mit ihrer hoch hinaufragenden, rötlich schimmernden Felsformation und der einzigartigen Gebirgslandschaft hätte uns sehr gereizt. Doch bis zu dem Weltnaturerbe sind es von Arholma nochmal 200 sm.
Wir aber wollen nun gegen den schwedischen Urlaubsstrom über den Stockholmer Schärengarten ins Landesinnere. Der Mälaren-See hat den Vorzug erhalten.