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"Meck-Pomm"

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Meck-Pomm     mp2020 kopf

 

Unter anderen Umständen

Strahlendes Blau am Flensburger Himmel. Erst im Laufe des Tages ziehen vereinzelnd Wolken auf. Als dem Wind die Puste ausgeht, haben wir die Sonderburger Bucht bereits erreicht. Nun müssen 30 Pferdestärken, tief im Bauch unserer CHINTA, die Kraft des Windes ersetzen. Generalkurs Ost. Mehr haben wir nicht geplant für den diesjährigen Segeltörn. Das heißt, weitere Alternativen standen auch kaum zur Wahl, da plötzlich nichts mehr ist, wie es vorher war.

Wir schreiben das Jahr 2020. „Der Segelvirus“, der Titel meines zuvor veröffentlichten Buches über die Liebe zum Segeln, bekommt nunmehr eine andere Bedeutung – einen bitteren Beigeschmack. Was ist passiert? Ein „hoch explosiver China-Export“, mit dem melodischen Namen Corona, hat sich rasend schnell zu einer weltweiten Pandemie ausgebreitet. Nach anfänglicher Verunsicherung wurde schnell klar, dass dieses Virus es mit der Menschheit bitter ernst meint.

So kam es zum Kampf gegen einen Feind, den man nicht näher kennt, nicht sieht, nicht hört, nicht riecht. Bei den vielen restriktiven Maßnahmen in Deutschland, wünschte ich mir, während der kritischen Phase nirgendwo anders zu sein. Kontaktvermeidung und sensibler Umgang mit der Hygiene wurden so zum obersten Gebot im Alltag. Einreiseverbote brachten den Tourismus zum Erliegen. So wurde das Segeln und andere Dinge, die uns am Herzen liegen, zur Nebensache deklariert. Not und Verzicht verschoben die Relationen. Was bisher als selbstverständlich galt, war nun ein Geschenk, wenn man es denn bekam.

Entsprechend groß war die Freude, als mit einigen Wochen Verzögerung die Boote ihrem gewohnten Element zugeführt werden konnten. Der Genuss, wieder Segeln zu dürfen, war spürbar größer als die Jahre zuvor. Oder, wie die Werbung es verspricht: „Bislang war es Schokolade und nun die längste Praline der Welt“.

Auf Höhe des Leuchtturms Falshöft setzt der Wind wieder ein, die Segel füllen sich, das Herz lacht. Ein freundlicher Gruß gilt der Giftbude von Schleimünde. Schweren Herzens rollen wir vor der Hafeneinfahrt von Damp die Segel ein, um dort unseren ersten Stopp einzulegen. Dort und auch in allen weiteren Häfen werden wir freundlichst auf Abstands- und Hygieneregeln hingewiesen.

In Damp geschieht dies in der Sprache der Wikinger. Und so halten wir stets eine Schwertlänge Abstand und der „Schnuutenpulli“ ist immer dabei. Die meisten Menschen verhalten sich erstaunlich verständnisvoll und diszipliniert. Einzig in Ballungszentren, die eine gewisse Magnetwirkung ausstrahlen, wird es schon mal „bedrohlich“ eng. Umso sicherer fühlen wir uns draußen auf dem Wasser.

Bei mäßigem Wind aus Nordwest zeigt die Bugspitze am nächsten Morgen auf Fehmarn. Doch hinter der stark frequentierten Kieler Förde lauert Gefahr anderer Art: Schießübungen in der Howachter Bucht. Die Geräuschkulisse bestätigt die Aktivitäten unserer Bundesmarine. Am Tag zuvor hatte ich mir sicherheitshalber die Erlaubnis eingeholt, den Kiel-Fehmarn-Weg befahren zu dürfen. Reger Funkverkehr auf Kanal 16 und 11 deutet auf verunsicherte Schiffsführer hin. Zumal die erweiterte Sperrzone weit nördlich des Schifffahrtsweges verläuft. Doch alles geht gut, niemand hat am Ende des Tages Kampfspuren zu beklagen.

Gleich hinter der Fehmarnsundbrücke, dem sogenannten Kleiderbügel, logieren wir die nächste Nacht bei der Schaich-Werft. Optimale Segelbedingungen sorgen am folgenden Tag für eine schnelle Überfahrt nach Kühlungsborn. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es derzeit bundesweit die wenigsten Corona-Fälle. Welch beruhigendes Gefühl. In den Nachrichten erfahren wir, dass die Einreise nach Dänemark unter Auflagen nun wieder möglich ist. Hatte Tage zuvor noch die Option einer „Durchreise“ mit Übernachtung in Bagenkop und Gedser geprüft, doch keine konkrete Aussage von offizieller Seite erhalten.

Auch Meck-Pomm erlaubt erst seit zwei Wochen wieder die Einreise von Touristen. Das hat unsere Tochter samt Familie und Wohnwagen direkt wahrgenommen. So werden wir im Hafen herzlich begrüßt und das Anlegegetränk schmeckt nochmal so gut. Das beliebte Seebad mit einer drei Kilometer langen Promenade und feinstem Sandstrand zieht bei sommerlichen Temperaturen auch in diesem verrückten Jahr viele Touristen an.

Ein Vorgeschmack auf Warnemünde. mp2020 warneMit den vielen Fischbuden und Lokalitäten am Alten Strom ballt es sich dort so richtig. Wir versuchen es im Sinne des Wortes zu umgehen. So bevorzugen wir die hübschen, schmalen Gassen und den weiträumigen Strand und beobachten von unserem Liegeplatz an der Mittelmole das emsige Treiben der vielen Optis der angrenzenden Yachtschule und den regen Schiffsverkehr auf der Warnow. Auch die großen Fähren zwischen Rostock und Trelleborg pendeln zu meinem Erstaunen, trotz bestehender Einreisewarnung nach Schweden, mehrmals täglich.


 Hinter den Kulissen

Hier, an der Ostseeküste, muss man schon mal längere Tagesetappen einplanen. Bis zum nächsten Hafen im geschützten Boddengewässer summiert es sich auf über 50 Seemeilen. Im Notfall kann auf halber Strecke auch Darßer Ort angelaufen werden, wenn denn die häufig versandete Zufahrt es zulässt und es tatsächlich notwendig erscheint. Doch ganz offiziell sollten schon gesundheitliche oder technische Probleme vorliegen. Der Hafenmeister freut sich so oder so über gute Tageseinnahmen.

Westliche Winde schieben uns vom Warnemünder Touri-Trubel direkt ins Mückenparadies nach Barhöft. Im wunderschönen Vorpommerschen Nationalpark ist unser Augenmerk ganz auf diese kleinen angriffslustigen Biester ausgerichtet. Hoffentlich haben sie keine gefährlichen Bazillen oder Viren im Gepäck. Auf die Einstiche können wir gut verzichten.

Das Areal der Boddengewässer, Sunde und Haffs nenne ich auch gern „hinter den Kulissen“. Es ist hoch interessant, abwechslungsreich und vor allem naturbelassen. Zudem zieht es die Touristenströme auf die andere Seite des „Theaters“, auf die „großen Bühnen“ von Binz, Zinnowitz und Ahlbeck. Am liebsten mit Logenplatz und freiem Blick aufs Meer. In den vielen „dunklen Gängen“ bzw. flachen und schmalen Fahrwassern, abseits des Trubels, reizt mich dagegen die navigatorische Herausforderung. Da kann man sich auch schon mal verlaufen bzw. verfahren.

Sehr zum Erstaunen unseres Bootsnachbarn satteln wir am nächsten Morgen in der frisch sanierten Hafenanlage nicht die Räder, wie zunächst geplant, sondern bereiten die Flucht nach Zingst vor. „Genau dort befindet sich das Hauptquartier der Pommerschen Stechmücken“, gibt er uns sarkastisch mit auf den Weg.

Vor einigen Jahren haben wir uns schon mal durch das enge Fahrwasser bis tief in den Bodden vorgewagt. Keine Mücken damals. Dafür aber eine ausgeprägte Marienkäferplage. Irgendwas ist immer... Dennoch zieht uns dieses naturbelassene Fleckchen Erde mit seinen engen Gassen und den kleinen reetgedeckten Häusern magisch an.

Und – wir werden belohnt: Keine Mücken, keine Marienkäfer! Dafür schöne Radwege bis zur Hohen Düne und zum Darß. Bewegung tut gut, nach den vielen mp2020 brilleSitzeinheiten an Bord. Im kleinen Städtchen Prerow lassen wir uns auf der langen Seebrücke den frischen Ostseewind um die Nase wehen. Draußen, am Ende der Brücke, ist ein Sportboothafen geplant. Als Alternative zu Darßer Ort. Doch Naturschutz und Zweckmäßigkeit konnten bislang nicht in Einklang gebracht werden. Zurück im Ortszentrum bestaunen wir die Vielfalt der liebevoll bemalten Haustüren an den kleinen, alten Gebäuden. Zingst zieht mit außergewöhnlicher Kunst und beeindruckenden Fotoaktionen die Blicke auf sich.

Am Abend setzt leichter Regen ein. Nach der anhaltenden Gut-Wetter-Phase sind wir nicht böse drum. Zumal Mücken das gar nicht mögen. Einen kompletten Regentag verbringen wir am übernächsten Tag in Barth. Sind quasi in unserem gemütlichen Salon in Quarantäne und verschlingen seitenweise Buchstaben. Für die leckere Fischsuppe im Vinetablick verlassen wir jedoch am Abend kurz unser Quartier. Auch das Windjammer-Museum, gleich um die Ecke, wäre ein Besuch wert. Am nächsten Morgen erfahren wir in den Nachrichten von 30 Feuerwehreinsätzen, wegen überfluteter Keller.

Die CHINTA freut sich dagegen über die Säuberungsaktion. So lassen wir unser frisch gewaschenes Boot gemächlich durch die vielen Windungen des gut betonnten Naturreservat Richtung Strelasund treiben. Hunderte Schwäne säumen unseren Weg. Hier finden sie einen reichlich gedeckten Tisch vor. Genau wie die Kraniche, die hier im Frühjahr und Herbst, auf ihrer langen Reise nach Norden bzw. in den Süden, eine ausgiebige Rast einlegen. Auch bei dem Naturschauspiel wäre ich gern einmal dabei.

Weit sichtbar ragen die 123 Meter hohen Pylonen der Rügenbrücke in den Himmel, der wieder seine gewohnte blaue Farbe angenommen hat. Mit den vielen Stahlseilen überragt sie alle anderen Brücken dieser Bauart in Deutschland. Dennoch müssen wir vor der alten, in die Jahre gekommenen Klappbrücke in Stralsund, auf die nächste Öffnung warten. Träge öffnen sich die schweren Bauteile und lassen die alte Verkehrsverbindung zur Ferieninsel Rügen für nahezu 30 Minuten ruhen. Unterdessen wechseln mit uns etwa 100 weitere Boote die Seite. Hinter der nächsten Windung lassen wir uns in den beschaulichen Seitenarm von Neuhof treiben.

Heute ist der 20. Juni, Sommeranfang. Aus den Lautsprechern der angrenzenden Gastronomie weht leise Reggaemusik über die Hafenszene. Die zusammengeflochtenen Rasterlocken des Chefkochs Basti wedeln leicht im Sommerwind. Meine spärlichen Brusthärchen ebenfalls. Beim Anblick der mediterran angerichteten Fischplatte kommt auf der urigen, mit Paletten bestückten Außenterrasse, endgültig Karibikfeeling auf. Und trotz Corona gibt’s reichlich heitere Konversation mit Tischnachbarn und dem gut gelaunten Basti. Ein 56 prozentiger Fischergeist beendet schließlich den längsten Tag des Jahres.

In Meck-Pomm haben die Schulferien begonnen. Schleswig-Holstein folgt eine Woche später. Doch schon seit drei Monaten findet kaum Unterricht statt. Verrückte Zeiten! Die Schweden machen es anders – aber nicht besser. Wegen der hohen Infektionsraten besteht dort auch heute noch eine Einreisewarnung und nach Rückkehr folgen zehn Tage Quarantäne. Wer möchte das schon? So findet der Höhepunkt des Jahres, das Mitsommerfest, in diesem Jahr ohne uns statt. Und bei den Schweden wird im Tal der Tränen wohl auch keine Festtagsstimmung aufkommen.

Das uns gegenüberliegende Naturschutzgebiet Devin erreicht man in wenigen Minuten mit dem Schlauchboot oder nach einer schweißtreibenden Stunde mit dem Rad. Wir treten in die Pedale und erwandern anschließend die tier- und faunareiche Halbinsel. Den vielen Schafsködeln weichen wir geschickt aus. Unser Überraschungsbesuch einer älteren Dame in Devin wird mit Kaffee und Torte und Erinnerungen vergangener Tage belohnt.

Auch werden wir auf unserer Route nach Greifswald weiterhin mit moderatem raumen Wind verwöhnt. In Wieck wird die älteste holländische Klappbrücke dieser mp2020 greifsArt für uns noch von Hand geöffnet. Freundlichst bedanken wir uns beim Brückenwärter und motoren die letzten zwei Meilen auf der Ryck bis zum stadtnahen Yachtzentrum. Greifswald ist eine junge, dynamische Stadt mit schönen, alten Gemäuern. Und so segeln wir hier auch in diesem Jahr nicht daran vorbei.

Ab Windstärke 5 streckt der Greifswalder Bodden seine Krallen aus. Und die haben wir heute, auf dem Weg in den Peenestrom. Obendrein aus Nordost, also genau auf die Nase. Und das ganz entgegen der Wetterprognose. Da kaum noch Flugzeuge am Himmel sind, fehlen den Experten nun wichtige Daten für ihre Berechnungen. Doch es hat auch was Positives, dem Klima tut es gut.

Eine kleine „Umleitung“, auch sowas gibt es auf dem Wasser, verlängert die ruppige Überfahrt zur nördlichen Ansteuerungstonne von Usedom. Eine flotte Rauschefahrt bis zur Klappbrücke in Wolgast entschädigt die Anstrengungen im rauen Bodden.

Ich traue meinen Augen nicht: Nur wenige Meter von unserem Rastplatz, bei der Schiffswerft Horn, liegt die ASTA, das Flaggschiff der Marineschule Flensburg, zu Überholungsarbeiten. Welch ein Schmuckstück! mp2020 astaEin kurzer Plausch mit den Bootsbauern unterstreicht meine Liebe zu diesen wunderschönen alten Segelbooten. In Erinnerung schwelgend sind meine Gedanken beim einwöchigen Törn vor vielen Jahren auf der WESTWIND, einem 12er der Bundesmarine. Bis zur nächsten Brückenöffnung ist noch Zeit zum Einkaufen, Kaffeetrinken und Chillen.

Ein Traum und längst kein Geheimtipp mehr ist der Naturhafen Krummin, am Ende der gleichnamigen Wiek. Dort gibt es ein täglich wechselndes üppiges Grillangebot und eine moderne Sanitäreinrichtung mit allen Annehmlichkeiten. Hinter einer hohen Weißdornhecke versteckt sich die Naschkatze in einem urgemütlichen naturbelassenen Bauerngarten. Den selbstgebackenen Kuchen lassen wir uns dort nicht entgehen. Pikante kulinarische Leckereien gibt es zwei Straßen weiter, in der Pferdetränke.

Beim morgendlichen Baden werde ich von einem Kormoran mit weit ausgebreiteten Flügeln misstrauisch beäugt. Hoffend auf einen friedlichen Ausgang gebe ich ihm zu verstehen, dass ich meinen Fisch nicht aus seinem Revier beziehe. Mit freiem Blick vom Cockpit, weit hinaus über die Wiek, schmeckt das Frühstück nochmal so gut.

Seit Tagen ist es heiß und schwül. Die 30 wird immer häufiger auf dem Thermometer geknackt. Und irgendwann knallt es dann mal im Karton. Gerade haben wir beim Grillevent auf der gemütlichen Hafenterrasse unsere Sparerips bekommen und sind bei den tief hängenden, schwarzen Wolken vorsorglich damit ins geschützte Zelt gegangen. Da fallen auch schon die ersten dicken Tropfen. Blitz und Donner lassen nicht lange auf sich warten. Menschenmassen flüchten nun ins viel zu kleine Partyzelt. Corona-Regeln scheinen vorübergehend außer Kraft gesetzt. Mit Messer und Gabel verteidigen wir unseren kleinen Stehtisch. Nach einer halben Stunde ist der Spuk vorbei. Das Zelt leert sich, den letzten Bissen spülen wir mit herbem Störtebecker runter und hinterlassen nach Oberlix-Manier einen Haufen abgenagte Knochen.

Ob unsere Sparerips wohl auch von einer dieser Großschlachtereien stammen, die wegen der vielen Coronafälle und weiterer Missstände die Medien mit reichlich Zündstoff füttern? Doch bundesweit ist die Zahl der Neuinfizierten zwischenzeitlich stark zurückgegangen. Weitere Lockerungsmaßnahmen sind geplant. Auch bei unseren Nachbarn in Polen sprechen zumindest die Zahlen die gleiche Sprache. So zeigt der Bug unserer CHINTA im Peenestrom weiter Richtung Süden, zum Stettiner Haff.

Beim Einchecken in Mönkebude habe ich ausnahmsweise mal mein „Schnüffeltuch“ nicht am Hals und werde prompt von der pflichtbewussten Hafenmeisterin abgewiesen. Richtig so – auch, wenn man es hätte anders lösen können. Nur selten treffen wir auf Ignoranten mit „Scheiß-egal-Mentalität“. No risk, no fun...

 


 

Grenzwertig

In Altwarp, dem östlichsten Ostseehafen Deutschlands, vertreten wir uns die Füße zur Wanderdüne. Beim anschließenden Dorfrundgang erfahren wir Historisches über den sowjetischen Friedhof und, dass Honeckers Dienstboot zum schwimmenden Fischlokal umfunktioniert wurde. Für zwei Stunden liegen wir vis a vis und atmen den sozialistischen Mief vergangener Tage ein. Bei einem ausgiebigen Klönschnack mit Lübecker Dauercampern staunen wir über weitere interessante Details aus dieser geschichtsträchtigen Region.

Das polnische Gegenstück Neuwarp ist nur einen Möwenschiss davon entfernt. Nach einer halben Stunde sind wir mit polnischer Gastlandflagge am gegenüberliegenden Ufer fest vertäut. Bin neugierig, was sich hier seit unserem letzten Besuch vor elf Jahren verändert hat.

Der marode Hafen wirkt nach wie vor nicht gerade einladend. mp2020 portDoch die Häuser des Dorfes haben Farbe, neue Fenster und Dächer erhalten. Reichlich EU-Mittel sind in eine ganz neue, überdimensionierte Promenade geflossen. Diverse einladende Lokale und andere Neubauten vermitteln Aufbruchstimmung in dieser abgelegenen Gegend. Zwischen der Moderne weisen abbruchreife Bauten auf eine ärmliche Vergangenheit hin. Die Brötchen, am nächsten Morgen, kaufe ich in einem kleinen Gemischtwarenladen, der wohl schon vor 30 Jahren genauso eingerichtet war. Die Brötchen schmecken gut, und darauf kommt‘s an!

Auf die Veränderungen in Wollin bin ich ebenfalls gespannt, wo wir einst vor der riesigen Kathedrale längsseits lagen. Doch ein angekündigter starker Westwind macht uns einen Strich durch die Rechnung. Dann doch lieber direkt nach Swinemünde.

Die vielen Stellnetze und Untiefen bereiten uns keine Probleme. Sind auf der Hut. Am Ende des Kaiserfahrtkanals dann das Großstadtrevier, welch krasser mp2020 stuhlGegensatz zur tiefen Provinz. Das lang gestreckte Hafenbecken ist nur spärlich gefüllt. Reger Fährbetrieb von und nach Schweden und auf der Promenade Jahrmarktsstimmung. Bin leicht irritiert... Auf den Rädern halten wir ein wenig Distanz. Unsere abendliche Walkingrunde führt über den endlosen, feinsandigen Strand.

Vorbei an Fähren und Frachtern verlassen wir Polen über die offene Ostsee, entlang Usedoms Seebädern Ahlbeck, Heringsdorf und Zinnowitz. Tief hängende, schwarze Wolken lassen nichts Gutes erahnen. Vorsorglich trage ich Ölzeug statt Sonnencreme auf. Doch am Horizont, oh Wunder, ein freundliches Blau setzt sich durch. So brate ich bei der flotten Überfahrt auf der 40-Meilen-Etappe nach Thiessow in Öl und bekomme obendrein noch eine rote Nase.

 


 Ab in die Bodden

Die Südspitze Rügens mit dem „Klein Zicker“ ist ein wahres Naturparadies, abseits des Tourirummels. Außer zweimal in der Woche, wenn das beschauliche Fischerörtchen Thiessow mit den vielen Marktständen zum Publikumsmagneten der Insel wird. Auch wir schauen uns dort früh morgens um und kehren mit frischem Holzlukenbrot zurück. Der Kaffee dampft schon.

Gestärkt erkunden wir die nähere Region und genießen den fantastischen Weitblick vom „Kleinen Königsstuhl“. Vorsorglich gibt’s nach dem Abendessen in der Fischerklause für jeden Gast eine „Anti-Corona-Schluckimpfung“. Die soll angeblich sogar autofahrertauglich sein...

Übrigens, die Hafenmeister von Thiessow wurden offensichtlich besonders kundenfreundlich geschult. So bekam ich vor zwei Jahren beim Einchecken eine Flasche Flens in die Hand gedrückt – einfach so! Und die neue Hafenmeisterin schneidet den Skippern auf Wunsch so ganz nebenbei die Haare, legt mal eben ein paar Boote um (die Skipper Gott sei Dank nicht), um Platz für weitere Ankömmlinge zu schaffen und hat in ihrer überdimensionierten Latzhose immer einen lockeren Spruch auf den Lippen.

Die Neugierde treibt uns in einen weiteren schmalen Seitenarm des Greifswalder Boddens, der schließlich in den Selliner See mündet. Für die nächsten Tage ist reichlich Westwind angekündigt, so stellen wir uns auf einen längeren Aufenthalt in Baabe ein. Dort, wo eine kleine Ruderfähre Leute nach Moritzdorf übersetzt. Auch wir nutzen dieses Angebot samt Fahrräder, um den Selliner See zu umrunden. Im Hafen von Sellin haben Freunde von uns festgemacht, dort gibt’s einen starken Kaffee und einen ausgiebigen Schnack.

Kurios, ein paar Plätze weiter entdecke ich doch tatsächlich die COMORAN aus Heiligenhafen. Dem Skipper bin ich heute noch dankbar, hat er uns doch vor ein paar Jahren in den Bodden aus einer Notlage befreit. Wir lagen auf Schiet. Über den späten Dank, eine Flasche Rum, hat er sich sichtlich gefreut. Wie heißt es doch gleich: Man sieht sich immer zweimal im Leben...

Wie vorhergesagt peitscht der Wind mehre Tage mit 6 – 8 Beaufort übers Wasser. Der Bodden ist quasi unpassierbar. Die Trockenphasen nutzen wir für Ausflüge mit Rad und Bäder-Bahn in dem für mich schönstem Teil Rügens. Die kleinen märchenhaften Dörfer, wie Middelhagen und Altensien, sind touristisch kaum erschlossen und gerade deshalb so reizvoll. An den endlosen Stränden von Göhren, Baabe und Sellin ist man gut vor dem Westwind geschützt. In das Pfeifkonzert des Windes mischt sich immer wieder mal das laute Stöhnen des dampfenden „Rasenden Rolands“ ein.

Ein kleines Wetterfenster nutzen wir für die kurze Passage nach Lauterbach. Schließlich hat der Sturm sich ausgepowert, der Bodden ist nun wieder zahm. Doch Petrus verabreicht uns auf der Kreuz im Strelasund noch eine kalte Dusche. Auf Höhe der Fährlinie, bei Stahlbrode, meldet sich der Wind plötzlich mit starken Böen und Regen zurück. Im Nu steht dort eine beachtliche Welle. Schnell sind die Segel geborgen und so erreichen wir mit Motorkraft den geschützten Hafen von Dänholm. Heißer Tee mit Rum weckt in mir die Lebensgeister und wärmt so richtig schön durch – mitten im Juli.

mp2020 regenAuch für unsere letzten Tage in Meck-Pomm hält die Wetterküche eine abwechslungsreiche Karte bereit. Eben schmückte das schönste Blau noch den Himmel. Dann, wie von Kulissenschiebern inszeniert, eine graue Wand und schon schüttet es wie aus Eimern. In der geschützten Kuchenbude genießen wir das Naturschauspiel sogar ein wenig. Doch am Nachmittag gibt’s auf dem Fahrrad ein nasses Fell. Da setzt der Genussfaktor erst beim aufmunternden Teepunsch ein. mp2020 wegweiser

Nach der morgendlichen Brückenöffnung lassen wir Stralsund im Regen stehen und freuen uns, in Öl gehüllt, auf die Sonneninsel Hiddensee. Hoch am Wind passieren wir die unzähligen roten und grünen Tonnen des schmalen Fahrwassers. Nur selten zeigt die Logge unter 7 Knoten an. Da wird reichlich Adrenalin produziert und das Seglerherz pocht.

 

 


 

Sternstunde

Der beliebte Hafen von Kloster ist stets stark frequentiert, doch auch diesmal finden wir noch einen Platz für unsere CHINTA. Und – tatsächlich – guckt hier noch am späten Nachmittag ganz verstohlen die Sonne für ein paar Stunden um die Ecke, bevor sie über dem Dornbusch untergeht. Starker Westwind weht uns bei den Radtouren und Wanderungen auf Deutschlands sonnenreichster Insel um die Ohren. Der Weg durch den kleinen Ort Grieben, hinauf zum Dornbusch und durch die urigen Waldwege, hoch über der Küste, zurück nach Kloster, ist immer noch am schönsten.

Am Ende des Mühlenbergs entdecken wir Hedi’s Oe, ein älteres, unscheinbares Backsteinhaus mit gemütlichen Sitzecken in einem verwunschenen Garten. Selbstgebackene Kuchen und Fischleckereien sind dort sehr gefragt. Ohne Anmeldung bleibt uns nur das Nachsehen und der herrliche Duft des Kaffees. Im Nachbarort Vitte sind Das Rote Haus und Seemannshuus empfehlenswerte Adressen zum Einkehren.

mp2020 pferdS o erleben wir bei unseren Meck-Pomm-Visiten auf Hiddensee immer wieder aufs Neue unsere ganz persönliche Sternstunde. Diese einzigartige Insel ist halt ein Muss in diesem schönen Segelrevier. Und nicht nur wegen des hoch hinaufragenden Dornbuschs, mit einem fantastischen Rundum-Ausblick, ist es ein Höhepunkt der Reise.

Mein elektronischer Terminkalender erinnert mich an das Endspiel der Fußball-EM. Heute um 15 Uhr ist Anstoß. Nicht, dass ich es im gechillten Urlaubsmodus vergesse. Aber was war denn mit den Gruppenspielen, dem Viertel- und dem Halbfinale? Es muss irgendwie an mir vorbei gegangen sein – oder an uns allen?

Da war doch was... Die A-H-A-Regel (Abstand, Hygiene und Alltagsmasken) macht auch vor Fußballern nicht halt. Und die vielen Zuschauer in den Stadien? Alle Massenveranstaltungen wurden bis auf weiteres abgesagt. Die EM wird nachgeholt – oder nicht?

Der Wind hat etwas abgenommen, bläst aber zunächst noch hartnäckig aus West. Die nächste Etappe zur dänischen Insel Møn scheint machbar. Noch im Hafenbecken setzen wir die Segel, vorsorglich mit einem Reff im Groß. Bis zur Kardinaltonne „TJN“, die Abkürzung steht für Toter Junge Nord, gilt unser Augenmerk den vielen Untiefen. Nur ein paar Meilen weiter ist hier drei Tage zuvor ein dänisches Segelboot mit Motorschaden gestrandet. Der Skipper musste mit schweren Kopfverletzungen per Hubschrauber abgeborgen werden. Das Wrack liegt noch da, welch trauriger Anblick.

Vor uns die offene Ostsee mit ausreichend Tiefe und einer Restwelle der vergangenen stürmischen Tage. Klintholm, auf Kurs 310 Grad, fest im Visier. Die hoch aufragende Steilküste Hiddensees ist noch lange sichtbar, die hellen Kreidefelsen Møns zeichnen sich schon vor Erreichen der Kadetrinne schemenhaft ab. Nach anstrengender achtstündiger Fahrt laufen wir im überfüllten Hafen von Klintholm ein. Doch im Fischereibecken findet sich immer noch ein Platz für die Nacht.

 


 Rot – Weiß

 Wer „Rot-Weiß“ bestellt bekommt meist Ketchup und Majo zur Pommes. In Dänemark hat es einen weitaus höheren Stellenwert. Sind es doch die mp2020 flaschenNationalfarben unseres Nachbarlandes, die sich nicht nur in dem Dannebrog, der Flagge Dänemarks, wiederfinden. Und was erzeugt noch bei den glücklichen Nordmännern und -frauen ein Lächeln? Softeis, Pølser und Bøfsandwich sind so typisch für Dänemark wie Schwarzbrot und das Reinheitsgebot des Bieres für uns Deutsche. Also nichts wie hin zur nächsten Pølserbude, als kleine Belohnung für die Strapazen der Überfahrt. Zuvor ein kühles Bier.

Auf unser erstes dänisches Leckerli müssen wir ein wenig warten und kommen so mit einer dänischen Familie ins Gespräch. Dann werden wir ganz unaufgeregt, mit leiser Stimme darauf hingewiesen, dass die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen ebenfalls in der langen Schlange ansteht, um sich und ihrem frischgebackenen Ehemann eine Eiswaffel zu gönnen. Die beiden haben ein paar Tage zuvor auf Møn geheiratet, wie wir erfahren. Eine aufrichtige Geste der Dänen, dass sie weder Selfie noch Autogramm einfordern, sondern der Prominenz, wie ganz normalen Menschen, den Eisgenuss gönnen.

Heute salopp mit Pantoletten im lässigen Freizeitlook, drei Monate zuvor riegelte die resolute Sozialdemokratin mit strenger Hand und finsterer Miene ihr Volk gegen potentielle Vireneindringlinge ab. Mit Erfolg! Inzwischen dürfen immerhin wir Schleswig-Holsteiner ohne weitere Einschränkungen einreisen. Auf Mundschutz wird in Dänemark verzichtet, auf Abstand und Hygiene jedoch an jeder „Ecke“ hingewiesen. Und wie immer wirken die Dänen gelassen und glücklich. In Kopenhagen gibt es seit kurzem sogar ein Glücksmuseum. Na dann...

Der Wind hat auf Südost gedreht, die Sonne hat sich durchgesetzt. Herrliche Bedingungen für die nächste Etappe durch den Grønsund. Doch bei der Stortrømbroen dreht der Wind, wie vom Schalter betätigt, auf Nordwest. Und noch vorm Einlaufen in Femø-Havn muss das Ölzeug raus. Viele Boote liegen in dem kleinen Hafen bereits im Päckchen. So machen wir es dann zwangsläufig auch. Erstmals auf diesem Törn. An die vollen dänischen Häfen werden wir uns gewöhnen müssen, denn die Dänen bleiben im Corona-Jahr in ihrem Land.

Heute ein weiteres Mal Fastfood an der Pølserbude. Diesmal ohne Prominenz. Doch ein paar Jahre zuvor wäre auch das auf diesem unscheinbaren Eiland, am Rande des Smålandfahrwassers, möglich gewesen. Bei unserer abendlichen Walkingrunde ist der große Granitstein am Dorfteich mit der Aufschrift „Besøg... Dronning Margrethe... 2011“ nicht zu übersehen. Der ganze Stolz der wenigen Insulaner.

Omø zählt zu unseren Lieblingsinseln in Dänemark. Deshalb brechen wir frühzeitig auf und haben auf dem sonnendurchfluteten Atoll am Großen Belt keinemp2020 finger Platzprobleme. Ein kurzer Gang zum Købmann in Omø By, dann wegen der leckeren Fischfrikadellen zum Fischmann, noch ein Eis auf die Hand und für den Rest chillen. Das reicht am ersten Tag. Fast – denn den Sonnenuntergang am Westdeich sollte man hier nicht verpassen. Und der ist heute besonders gelungen.

In meiner morgendlichen Baderoutine haben sich die letzten Tage Unregelmäßigkeiten eingeschlichen. So führt unsere kleine Inselwanderung über den Revvej und den steil ansteigenden Skovbrøndvej, mit herrlichem Weitblick, zum menschenleeren Südstrand. Im türkisfarbigen, seichten Wasser ankern ein paar Boote, am Strand lugt nur hier und da ein Kopf aus dem hohen Gras hervor. Wären da nicht die nordischen Wassertemperaturen, käme hier glatt Karibikfeeling auf.

Doch ich bin’s ja gewohnt. Und so genieße ich das kühle Bad und auch das Sonnenbaden, quasi in Alleinlage, an der Seite meiner Meerjungfrau. Das Historiens Hus gibt uns interessante Einblicke auf vergangene Zeiten. Als I-Tüpfelchen dann noch ein Eis im Dorf-Cafè. Irgendwie haben die Dänen es drauf, einen da nicht dran vorbei gehen zu lassen.

Am Abend dann große Menschenansammlung auf einer Grünfläche am Hafen. Schon Stunden zuvor sorgten dort Kompressoren für eine überdimensional große Leinwand. Die Insulaner rollen mit Trecker und Wagen, Campingstühlen und Wolldecken an. Sogar ein paar Kinderwagen sind dabei. Als kurz vor 22 Uhr die ersten Klänge von Queen über den Hafen erschallen, machen auch wir uns mit Dosenbier ausgerüstet auf den Weg. Die folgenden 2 ½ Stunden sind wir beeindruckt, ja erfasst, von der tollen Inszenierung aus dem Leben des Rockstars Freddie Mercury. Die englische Sprache und dänischen Untertitel nehmen wir dabei noch in Kauf. Doch der Stehplatz im Open-Air-Kino geht uns mächtig auf die Knochen.

Mit diesen Erlebnissen und dem Blick auf die Store-Belt-Brücke verlassen wir schließlich den nördlichsten Punkt unserer Route. Nun geht’s nach Langeland. Genauer gesagt nach Dageløkke, obwohl wir diesen Hafen eigentlich nicht mehr ansteuern wollten. Doch Irene hat ein Treffen mit meiner Lieblingscousine Lore, die inzwischen von ihrer Krankheit gefangen ist, arrangiert. Stetige Brise aus Nordwest bei herrlichem Sonnenschein, so macht Segeln Spaß.

Bis zur engen, flachen Hafeneinfahrt, wo die Hafenmeisterin uns schon von weitem lautstark und gestikulierend um die vermeidlichen Flachstellen dirigiert. Und es klappt dann tatsächlich – ohne Grundberührung. Mit großer Verwunderung nehmen wir dann noch das Schild neben der Einfahrt wahr: „Dyb 1,5 Meter“. Der Tiefgang der CHINTA beträgt bescheidene 1,85 m ...). Das Hafenbecken selbst ist tief genug. Wir machen fest und freuen uns auf die Einladung zum Grillen im alten Farmors Hus bei Lore. Die Stunden vergehen wie im Flug. Es gib viel zu erzählen, wir schwelgen in Erinnerungen und abschließend gibt’s Kaffee und Kuchen auf der CHINTA.

Noch am selben Nachmittag soll es weitergehen, denn am nächsten Tag bekommen wir Crewverstärkung auf Ærø. Doch mein Gesicht wird lang und länger, als ich die extreme Veränderung des Wasserstandes an den Pfählen wahrnehme: Etwa 70 – 80 cm weniger als zuvor! Das Ablegen können wir uns abschminken, nur 20 cm waren bei der Ankunft noch unterm Kiel. Erstmals befasse ich mich im Bereich der Ostsee mit dem Tidenkalender: Um 12 Uhr war Hochwasser in dieser Region, um 11 Uhr sind wir gekommen und hatten so das Glück des Tüchtigen. Um 18 Uhr ist demzufolge Niedrigwasser und gegen Mitternacht wieder Hochwasser.

Wir verständigen uns darauf, es zwei Stunden vor Hochwasser, also gegen 22 Uhr, zu versuchen. So kann ich noch baden und lesen und mir reichlich Gedanken über diese blöde Zufahrt machen. Im Augenwinkel immer die Pfähle mit dem nur langsam steigenden Wasserstand. Kurz nach Sonnenuntergang probieren wir es dann und bekommen auch von Bootsnachbarn ein paar Tipps mit auf den Weg, zumal in der Zwischenzeit ein 40-Fuß-Boot unter großen Schwierigkeiten eingelaufen ist.

Voller Anspannung schleiche ich weit östlich der Bojen entlang und glaube es schon geschafft zu haben. Rumms – auf Schiet. Dann versuche ich es erneut an unterschiedlichen Stellen, mal mit mehr, mal mit weniger Gas. Und schließlich schaffen wir es tatsächlich noch – neben der markierten Einfahrt. Applaus von den Sehleuten an Land. Die Fahrt in die Nacht ist purer Genuss. Am Horizont spielt die Sonne mit den Farbresten des Tages. Angelika genehmigt sich ein Gläschen Wein.

Der unbeleuchtete Tonnenstrich vor Rudkøbing erfordert in stockdunkler Nacht dann noch mal größte Konzentration. Mit Hilfe der Seekarte auf Plotter und iPad tasten wir uns durch das schmale Fahrwasser. So erreichen wir schließlich kurz vor Mitternacht den Hafen von Rudkøbing und legen uns dort für ein paar Stunden in die Koje. Um 6 Uhr brechen wir mit Kurs nach Ærøskøbing wieder auf. Um 9 Uhr festmachen, duschen, frühstücken. Fast normale Zeiten... Und noch reichlich Zeit, bis die Fähre mit Inga und Jano in Søby eintrifft.

 


 

Baby an Bord

Gute Verpflegung ist für die Stimmung an Bord oberstes Gebot. Für einen achtmonatigen Leichtmatrosen gilt das allemal. Unter dieser Prämisse sind wir mit 20 Hipp-Gläsern, ausreichend Feuchttüchern und Windeln gut gewappnet.mp2020 baby Auch eine Hängematte wurde in der Achterkabine vorausschauend montiert. Die letzte Woche unseres Törns wollen Mutter und Sohn uns bis zu unserem Heimathafen begleiten. Auch für mich eine neue Herausforderung. Bislang sah ich das Schild „Baby an Bord“ nur an Autoscheiben kleben.

Bin gespannt, ob dem Kleinen in der Woche Seebeine wachsen. Die erste Nacht schläft er wie ein Stein, besser als zu Hause. Doch sobald Jano die Augen aufmacht, übernimmt er das Kommando auf der CHINTA. Fahrzeiten bestimmt allein er. Und wenn es mal zu laut wird, ist Landprogramm angesagt. In seinem Buggy und dem Schnüffeltuch an der Nase ist er das liebste Kind.

Die kleinen bunten Badehäuschen am Oststrand, die Tiere auf den Weiden und die schönen alten Häuser in den engen Gassen der Inselmetropole verpasst er allerdings. Selbst die holprigen Kopfsteinpflaster bringen ihn nicht um den Schlaf. Erst im Nettomarkt nimmt er interessiert die neuen Düfte wahr und freut sich über weitere Warenzugänge an Bord.

mp2020 baby1Nach kurzer Eingewöhnungszeit und einer weiteren relativ ruhigen Nacht folgt die spannende Phase auf See. Bewusst wählen wir kurze Distanzen und auch die weiteren Rahmenbedingungen sind für die ersten Segelerfahrungen vertretbar. Gut fixiert und mit Resten der letzten Mahlzeit im Gesicht sitzt unser Leichtmatrose in seinem Buggy, der fest im Cockpit positioniert ist. Eigentlich fehlt ihm jetzt nur das Kopfsteinpflaster, doch das lässt sich die Tage gewiss noch durch Wellengang ersetzen.

Heute aber genießt er ganz offensichtlich die gute Seeluft bei moderaten Segelbedingungen und schaut interessiert über den Bug hinweg unserem nächsten Ziel entgegen. Bei leichtem Nordwestwind motoren wir zunächst. Als wir zwischen den Inseln Drejø und Avernakø das Vorsegel ausrollen, träumt Jano bereits von seiner ersten Weltumsegelung. Erst nach dem Anlegemanöver in Fåborg meldet sich sein Forscherdrang zurück. Unvermittelt fordert der neue Kommandant Landgang ein. Ersten Segeltest somit bestanden, würde ich sagen.

Nach ausgiebigem „Frokost“, also unserem zweiten Frühstück, testen wir das Kopfsteinpflaster der „Gågade“. Jano freut sich über die guten Straßenverhältnisse und das bunte Treiben in der City. Wie von Geisterhand gesteuert, verschwinden die Damen immer mal wieder hinter den bunten Auslagen der dänischen Geschäftswelt. Und mich zieht die lange Schlange vor der „Vaffelbageri“ magisch an. Das Eis schmeckt köstlich und die frisch gebackene Waffel ganz besonders.

Mit zwei Dosen Bier bewaffnet mache ich am Abend eine Stippvisite auf der STJÄRNA, um Neuigkeiten mit meinem Vereinskameraden auszutauschen. Schon in Lauterbach waren wir uns begegnet.

Die Welt ist klein. Auch Arved Fuchs läuft hier am Nachmittag mit seiner DAGMAR AAEN ein, um Diesel für seine Expeditionsfahrt in‘s Wattenmeer zu bunkern. Und das dauert ein Weilchen, denn die fünf Tanks des umgebauten Haikutters können sage und schreibe 4.500 Liter aufnehmen. Die CHINTA begnügt sich dagegen mit 150 Liter, das reicht für die ganze Saison und ein schmales Portemonnaie.

Das Leben mit dem Lütten ist spürbar bunter geworden. Nun bin ich neugierig, was er vom Kleinen Belt hält. Denn der ist längst nicht immer freundlich gestimmt. Aber heute gewährt er uns bei leichter Brise aus West eine ruhige Fahrt unter Vorsegel. Nur kurz kommt das Ölzeug zum Einsatz, ansonsten verwöhnt uns die Sonne.

Die Dänische Südsee liegt hinter uns, als wir an der Schwimmbrücke im modernisierten Hafen von Mommark festmachen. Der angrenzende mp2020 palmenCampingplatz, der feinsandige Strand und auch die Lokalitäten – alles tippitoppi. Das war nicht immer so. Unser Matrose fühlt sich hier am Strand besonders wohl. Kein Wunder, sein Sandkasten zu Hause ist ihm viel zu klein.

Am Nachmittag taucht plötzlich ein uns vertrauter rot-weißer VW-Bus auf. Chrissi überrascht uns mit einem Kurzbesuch. Ihr Freund ist im wahrsten Sinne auf der Strecke geblieben. Ab Kollund wählte er für sein geländefähiges Mountainbike den „Gendarmenstien“, immer dem Küstenverlauf folgend. Es gibt viel zu erzählen und für den Gaumen leckeren Fisch.

Für die 20-Meilen-Etappe nach Sønderborg mache ich mir wegen unserem jüngsten Crewmitglied keine Sorgen. Wer den Kleinen Belt ohne Blessuren übersteht, ist für Größeres bereit. Der Wind weht zunächst weiterhin aus Nordwest, Groß- und Vorsegel kommen zum Einsatz. Die leichte Dünung nimmt Jano als Aufforderung zum Pennen an. Und wir müssen mal wieder die Arbeit machen... Nach den Untiefen von Pølsrev geht es mit halbem Wind flott weiter.

Bei einer neben uns motorenden Dehler werden nun auch die Segel gesetzt. Der Motor verstummt, das Matchrace kann beginnen. Ab Leuchtturm Kegnæs war ich auf Motor eingestellt, doch der Wind dreht im richtigen Moment auf West. So können wir nach zwei kurzen Schlägen Sønderborg halten. Warum nicht einfach mal das Glück am Schopfe packen.

Als Willkommensgeste ein paar Regentropfen im Hafen. Wir ignorieren sie einfach und freuen uns auf eine moderne Stadt mit Alsion, Alsik, Borgen, der neuen Promenade und dem schönen Strand, gleich um die Ecke.

 Nun fühlen wir uns schon fast wie zu Hause, denn die Sonderburger- und Geltinger Bucht sind beliebte Ziele für Kurzausflüge von Flensburg. Ganz so groß ist unser Heimweh dann doch nicht. Nochmal ausgiebig bummeln, chillen und natürlich mit Jano ans Wasser zum großen „Sandkasten“. Wir haben uns gut aneinander gewöhnt, wenngleich der Bootsmann in spe das Kommando weiter fest in der Hand hält.

Schnell sind wir von Inga‘s Vorschlag überzeugt auch noch einen Schlenker nach Gråsten zu machen. Schließlich hatte sie eine ganze Woche all inclusive gebucht und außerdem gibt es dort ein kinderfreundliches Schwimmbad. Und wenn die Königsfamilie im Schloss residiert, marschiert freitags die Leibgarde durch das kleine Städtchen, mit anschließendem Wachwechsel. Na denn...

Bei schwachen südwestlichen Winden besteht Jano wieder auf volle Besegelung, zumindest ab Kragesand. Bei der Brückenöffnung in Egernsund – stündlich um 15 nach – ist er hellwach und staunt, dass die Straße hier plötzlich hoch in den bewölkten Himmel ragt.

Mutter und Kind verabschieden sich für einen Landgang und wir machen nach der vorletzten Etappe unsere alten Beine lang. Die kurzen Ruhephasen müssen schließlich ausgenutzt werden.

Als Inga dann mit ihrer Nichte Enna auf dem Arm zurückkehrt, reiben wir unsere müden Augen, die ohne Brille kaum noch etwas wahrnehmen. Kurz darauf folgen die dazugehörigen Eltern, die freundlicherweise Jano im Gepäck haben. Überraschung geglückt! Die Herzfrequenz normalisiert sich wieder. Auf dem Rückweg vom zweiwöchigen Campingurlaub in Dänemark gibt es somit ein vorzeitiges Wiedersehen an Bord der CHINTA.

Die letzte kurze Etappe nach Flensburg wird für Jano, bei sehr böigen Windverhältnissen, ganz ungeplant zur Königsdisziplin. Westliche Winde mit 11 – 18 Knoten gewähren guten Vortrieb. Doch kaum ist das Vorsegel nach der Brückenpassage ausgerollt, bläst uns eine Böe mit 28 Knoten den Marsch – und Respekt ein. So sind wir vor weiteren Widrigkeiten gewarnt und entsprechend auf der Hut.

90 Minuten später hat Jano auch diese Prüfung gemeistert und nach insgesamt einer Woche auf dem Wasser sich seinen ersten Segelschein mit Auszeichnung verdient. Seine Seebeine können nun weiter wachsen, wie übrigens seine Haare auch. Denn er kam mit Glatze und nun sind es schon sieben Millimeter im feinen nordischen Blond. Was Seeluft so alles bewirkt...

 


 

Verrücktes Jahr

 Nach sieben Wochenmp2020 spiegel auf der CHINTA und 750 Seemeilen im Kielwasser mögen wir gar nicht so abrupt nach Hause. Obwohl wir uns auf unsere heimatliche Scholle freuen, bleiben wir noch ein paar Stunden an Bord. Essen etwas, trinken noch was, packen die restlichen Lebensmittel und die schmutzige Wäsche ein. Dabei gehen mir viele Gedanken durch den Kopf.

Die besonderen Umstände in diesem Jahr... Wir beide können uns glücklich schätzen, denn sonderlich leiden mussten wir wegen Corona bislang nicht. Weder anfangs zu Hause, noch bei unserem Segeltörn. Wohlwissend, dass es viele Menschen gibt, die so ganz unvorbereitet und schuldlos in eine Notlage geraten sind. Von den Erkrankten ganz abzusehen.

Verstand, Respekt und Einsicht waren und sind auch weiterhin die Grundlage für unser Handeln in dieser schwierigen Zeit. Während unseres Törns haben sich zumindest in Deutschland die Vorzeichen zum Positiven gewendet. Diverse Lockerungen in unserer Gesellschaft wurden so wieder schrittweise ermöglicht. Doch die nächste Welle ist noch nicht überstanden. So liegt es an uns mp2020 mastMenschen, an jedem Einzelnen, die Größe und Wucht bzw. das Ausmaß zu beeinflussen. Ob sie nur dahin plätschert oder sich gar zum Tsunami entwickelt. Denn einen wirkungsvollen Impfstoff gibt es nicht – noch nicht.

Es bleibt die Hoffnung, dass 2021 Wirtschaft und Gesellschaft wieder sicheres Fahrwasser erreichen, dass Fußball-EM und Olympische Spiele wieder Nationen verbinden, dass Konzerte große Hallen füllen, dass eine Normalität zurückkehrt und wir wieder ungetrübte Freude – eben Spaß am Leben haben. Noch ist mein Zweckoptimismus mit Skepsis durchsetzt. Umso mehr freue ich mich schon heute auf eine „ganz normale“ Segelsaison. Ob der Himmel dann ein blaues Kleid trägt und mit Kondensstreifen durchzogen ist, ist gar nicht so wichtig.

 

Friedrich Thordsen, August 2020

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Buchtipp: Der Segelvirus

Wie war es „als Gast“ an Bord der CHINTA in den Gewässern von Meck-Pomm und Dänemark – hat es dir gefallen?

Weitere Törns in unserem schönen Heimatrevier und anderen tollen Regionen der Ostsee kannst du hautnah miterleben. Schonungslos – mit so manchen Niederlagen, aber auch großartigen Momenten. Die Weite des Meeres – aber auch die Nähe zu Land und Leuten – brutzeln, werkeln, fachsimpeln – einfach nur chillen, der Sonnenuntergang bei einem Glas Wein ...all das führt zum Segelvirus.

Das Buch gibt es beim örtlichen Buchhandel und bei Amazon. Dort ist es auch als eBook erhältlich.

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