Rot – Weiß
Wer „Rot-Weiß“ bestellt bekommt meist Ketchup und Majo zur Pommes. In Dänemark hat es einen weitaus höheren Stellenwert. Sind es doch die Nationalfarben unseres Nachbarlandes, die sich nicht nur in dem Dannebrog, der Flagge Dänemarks, wiederfinden. Und was erzeugt noch bei den glücklichen Nordmännern und -frauen ein Lächeln? Softeis, Pølser und Bøfsandwich sind so typisch für Dänemark wie Schwarzbrot und das Reinheitsgebot des Bieres für uns Deutsche. Also nichts wie hin zur nächsten Pølserbude, als kleine Belohnung für die Strapazen der Überfahrt. Zuvor ein kühles Bier.
Auf unser erstes dänisches Leckerli müssen wir ein wenig warten und kommen so mit einer dänischen Familie ins Gespräch. Dann werden wir ganz unaufgeregt, mit leiser Stimme darauf hingewiesen, dass die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen ebenfalls in der langen Schlange ansteht, um sich und ihrem frischgebackenen Ehemann eine Eiswaffel zu gönnen. Die beiden haben ein paar Tage zuvor auf Møn geheiratet, wie wir erfahren. Eine aufrichtige Geste der Dänen, dass sie weder Selfie noch Autogramm einfordern, sondern der Prominenz, wie ganz normalen Menschen, den Eisgenuss gönnen.
Heute salopp mit Pantoletten im lässigen Freizeitlook, drei Monate zuvor riegelte die resolute Sozialdemokratin mit strenger Hand und finsterer Miene ihr Volk gegen potentielle Vireneindringlinge ab. Mit Erfolg! Inzwischen dürfen immerhin wir Schleswig-Holsteiner ohne weitere Einschränkungen einreisen. Auf Mundschutz wird in Dänemark verzichtet, auf Abstand und Hygiene jedoch an jeder „Ecke“ hingewiesen. Und wie immer wirken die Dänen gelassen und glücklich. In Kopenhagen gibt es seit kurzem sogar ein Glücksmuseum. Na dann...
Der Wind hat auf Südost gedreht, die Sonne hat sich durchgesetzt. Herrliche Bedingungen für die nächste Etappe durch den Grønsund. Doch bei der Stortrømbroen dreht der Wind, wie vom Schalter betätigt, auf Nordwest. Und noch vorm Einlaufen in Femø-Havn muss das Ölzeug raus. Viele Boote liegen in dem kleinen Hafen bereits im Päckchen. So machen wir es dann zwangsläufig auch. Erstmals auf diesem Törn. An die vollen dänischen Häfen werden wir uns gewöhnen müssen, denn die Dänen bleiben im Corona-Jahr in ihrem Land.
Heute ein weiteres Mal Fastfood an der Pølserbude. Diesmal ohne Prominenz. Doch ein paar Jahre zuvor wäre auch das auf diesem unscheinbaren Eiland, am Rande des Smålandfahrwassers, möglich gewesen. Bei unserer abendlichen Walkingrunde ist der große Granitstein am Dorfteich mit der Aufschrift „Besøg... Dronning Margrethe... 2011“ nicht zu übersehen. Der ganze Stolz der wenigen Insulaner.
Omø zählt zu unseren Lieblingsinseln in Dänemark. Deshalb brechen wir frühzeitig auf und haben auf dem sonnendurchfluteten Atoll am Großen Belt keine Platzprobleme. Ein kurzer Gang zum Købmann in Omø By, dann wegen der leckeren Fischfrikadellen zum Fischmann, noch ein Eis auf die Hand und für den Rest chillen. Das reicht am ersten Tag. Fast – denn den Sonnenuntergang am Westdeich sollte man hier nicht verpassen. Und der ist heute besonders gelungen.
In meiner morgendlichen Baderoutine haben sich die letzten Tage Unregelmäßigkeiten eingeschlichen. So führt unsere kleine Inselwanderung über den Revvej und den steil ansteigenden Skovbrøndvej, mit herrlichem Weitblick, zum menschenleeren Südstrand. Im türkisfarbigen, seichten Wasser ankern ein paar Boote, am Strand lugt nur hier und da ein Kopf aus dem hohen Gras hervor. Wären da nicht die nordischen Wassertemperaturen, käme hier glatt Karibikfeeling auf.
Doch ich bin’s ja gewohnt. Und so genieße ich das kühle Bad und auch das Sonnenbaden, quasi in Alleinlage, an der Seite meiner Meerjungfrau. Das Historiens Hus gibt uns interessante Einblicke auf vergangene Zeiten. Als I-Tüpfelchen dann noch ein Eis im Dorf-Cafè. Irgendwie haben die Dänen es drauf, einen da nicht dran vorbei gehen zu lassen.
Am Abend dann große Menschenansammlung auf einer Grünfläche am Hafen. Schon Stunden zuvor sorgten dort Kompressoren für eine überdimensional große Leinwand. Die Insulaner rollen mit Trecker und Wagen, Campingstühlen und Wolldecken an. Sogar ein paar Kinderwagen sind dabei. Als kurz vor 22 Uhr die ersten Klänge von Queen über den Hafen erschallen, machen auch wir uns mit Dosenbier ausgerüstet auf den Weg. Die folgenden 2 ½ Stunden sind wir beeindruckt, ja erfasst, von der tollen Inszenierung aus dem Leben des Rockstars Freddie Mercury. Die englische Sprache und dänischen Untertitel nehmen wir dabei noch in Kauf. Doch der Stehplatz im Open-Air-Kino geht uns mächtig auf die Knochen.
Mit diesen Erlebnissen und dem Blick auf die Store-Belt-Brücke verlassen wir schließlich den nördlichsten Punkt unserer Route. Nun geht’s nach Langeland. Genauer gesagt nach Dageløkke, obwohl wir diesen Hafen eigentlich nicht mehr ansteuern wollten. Doch Irene hat ein Treffen mit meiner Lieblingscousine Lore, die inzwischen von ihrer Krankheit gefangen ist, arrangiert. Stetige Brise aus Nordwest bei herrlichem Sonnenschein, so macht Segeln Spaß.
Bis zur engen, flachen Hafeneinfahrt, wo die Hafenmeisterin uns schon von weitem lautstark und gestikulierend um die vermeidlichen Flachstellen dirigiert. Und es klappt dann tatsächlich – ohne Grundberührung. Mit großer Verwunderung nehmen wir dann noch das Schild neben der Einfahrt wahr: „Dyb 1,5 Meter“. Der Tiefgang der CHINTA beträgt bescheidene 1,85 m ...). Das Hafenbecken selbst ist tief genug. Wir machen fest und freuen uns auf die Einladung zum Grillen im alten Farmors Hus bei Lore. Die Stunden vergehen wie im Flug. Es gib viel zu erzählen, wir schwelgen in Erinnerungen und abschließend gibt’s Kaffee und Kuchen auf der CHINTA.
Noch am selben Nachmittag soll es weitergehen, denn am nächsten Tag bekommen wir Crewverstärkung auf Ærø. Doch mein Gesicht wird lang und länger, als ich die extreme Veränderung des Wasserstandes an den Pfählen wahrnehme: Etwa 70 – 80 cm weniger als zuvor! Das Ablegen können wir uns abschminken, nur 20 cm waren bei der Ankunft noch unterm Kiel. Erstmals befasse ich mich im Bereich der Ostsee mit dem Tidenkalender: Um 12 Uhr war Hochwasser in dieser Region, um 11 Uhr sind wir gekommen und hatten so das Glück des Tüchtigen. Um 18 Uhr ist demzufolge Niedrigwasser und gegen Mitternacht wieder Hochwasser.
Wir verständigen uns darauf, es zwei Stunden vor Hochwasser, also gegen 22 Uhr, zu versuchen. So kann ich noch baden und lesen und mir reichlich Gedanken über diese blöde Zufahrt machen. Im Augenwinkel immer die Pfähle mit dem nur langsam steigenden Wasserstand. Kurz nach Sonnenuntergang probieren wir es dann und bekommen auch von Bootsnachbarn ein paar Tipps mit auf den Weg, zumal in der Zwischenzeit ein 40-Fuß-Boot unter großen Schwierigkeiten eingelaufen ist.
Voller Anspannung schleiche ich weit östlich der Bojen entlang und glaube es schon geschafft zu haben. Rumms – auf Schiet. Dann versuche ich es erneut an unterschiedlichen Stellen, mal mit mehr, mal mit weniger Gas. Und schließlich schaffen wir es tatsächlich noch – neben der markierten Einfahrt. Applaus von den Sehleuten an Land. Die Fahrt in die Nacht ist purer Genuss. Am Horizont spielt die Sonne mit den Farbresten des Tages. Angelika genehmigt sich ein Gläschen Wein.
Der unbeleuchtete Tonnenstrich vor Rudkøbing erfordert in stockdunkler Nacht dann noch mal größte Konzentration. Mit Hilfe der Seekarte auf Plotter und iPad tasten wir uns durch das schmale Fahrwasser. So erreichen wir schließlich kurz vor Mitternacht den Hafen von Rudkøbing und legen uns dort für ein paar Stunden in die Koje. Um 6 Uhr brechen wir mit Kurs nach Ærøskøbing wieder auf. Um 9 Uhr festmachen, duschen, frühstücken. Fast normale Zeiten... Und noch reichlich Zeit, bis die Fähre mit Inga und Jano in Søby eintrifft.